Seite - 68 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Bild der Seite - 68 -
Text der Seite - 68 -
Murray G. Hall
kultur und Erotik – für entsprechende Werbung. Da ist gar von einem „Meisterwerk“
die Rede, sozusagen einem Film, auf den die ganze Welt gewartet hätte. Der Bericht
hört sich so an : „Man hat feststellen können, daß Breslauer, dieser geschmackvolle
Filmregisseur, ganz Außerordentliches geleistet hat, um den Film zu einer Weltsen-
sation zu machen. Das Allzupolitische mußte aus ihm eliminiert und das Humo-
ristische verstärkt werden und so unterhält, fesselt und wirkt dieser Film geradezu
sensationell, ohne bei irgend jemandem Anstoß erregen zu können. ‚Die Stadt ohne
Juden‘ ist ein Meisterwerk österreichischer Filmkunst, ein Meisterwerk der Optik und
Regieführung, die Darstellung ist erstklassig, und wir zweifeln nicht daran, daß der
Film überall gewaltiges Aufsehen erregen wird. […] Dieser Film ist unbedingt eines
der bedeutendsten Werke, die unsere heimische Industrie hervorgebracht hat. Aber er
wird auch in der ganzen Welt Bedeutung haben und nicht nur seiner Tendenz wegen,
die ihm das Buch voraustrug, sondern auch um der künstlerisch hochwertigen Arbeit
willen, die er birgt.“
Das war das „Vorher“, es folgte aber auch ein „Nachher“. Der Film erlebte nach
einer sogenannten Interessentenvorführung im Mai seine (Wiener) Premiere im Som-
mer 1924, genau am 24. Juli. Er wurde gleichzeitig in sechs Wiener Kinos, darunter
dem Zirkus-Busch-Kino im zweiten Bezirk mit annähernd 1.800 Sitzplätzen, wie
immer mit „Live-Musik“, gezeigt, doch der große Erfolg, den die vielen Filmzeit-
schriften vorauseilend prophezeit hatten, trat nicht ein. Und das aus einem banalen
Grund. Im Bemühen, mit dem Film „groß herauszukommen“, wurden sehr viele
Kopien für die Kinosäle eilig hergestellt. Die Folge war, dass technisch minderwertige
(sprich : überbelichtete) Kopien in die Kinos kamen und die Kinobesucher dement-
sprechend sauer waren. Dies führte dazu, dass Bettauer, der dem Film und Regisseur
sehr wohlwollend gegenüber gestanden war, sich öffentlich vom Film distanzierte. Es
kam zu einem Zerwürfnis zwischen Bettauer und dem Regisseur, wobei dieser für die
entstandene Panne nichts dafür konnte. Stichwort : „Wie ein Film verschandelt wird“.
Überhaupt steht der Media Hype, wie man das heute bezeichnen würde, in krassem
Gegensatz zur flauen publizistischen Resonanz nach dem Kinostart. Eine mögliche
Erklärung dafür wären nicht nur die technisch schlechten Kopien, die in die Wiener
Kinos kamen, sondern auch der enorme zeitgenössische Appetit auf Filmnovitäten,
von denen Die staDt ohne JuDen ja nur eine von über 900 in diesem Jahr war.
Im Zeitraum zwischen Mitte August und Ende November 1924 waren es immerhin
184. Die Filmkritiker waren – Pannen hin, Tendenzfilm her – nicht freundlich. So
schrieb Fritz Rosenfeld in der Arbeiter-Zeitung : „Der antisemitelnde, gegen den Anti-
semitismus gerichtete Film ist auch rein filmmäßig miserabel. Die abgedroschenste
Bettauers Wochenschrift, Nr. 12, Wien, 31. Juli 1924, S. 19.
zurück zum
Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519