Seite - 79 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Generationenkonflikte
Zeit des „Anschlusses“ 1938 allein in Wien, wo der weitaus überwiegende Teil der
jüdischen Bevölkerung lebte, 82 zionistische Vereinigungen.
Obwohl der Großteil der Jüdinnen und Juden wegen des Antisemitismus – vor
allem aus dem christlichsozialen Lager – vielfach auch gegen die eigenen Klasseninte-
ressen der Sozialdemokratie nahe stand, war das zionistische Lager im internationalen
Vergleich durch seine deutlich konservative Ausrichtung gekennzeichnet. Obwohl die
meisten der in Österreich aktiven zionistischen Organisationen und Parteien länder-
übergreifend tätig waren, gab es hier einige auffallende Sonderentwicklungen.
Die „Allgemeinen Zionisten“ waren bis 1931 die stärkste Fraktion innerhalb der
„Zionistischen Weltorganisation“. Sie repräsentierten jene Zionisten, die sich nicht
ideologisch festlegen, nicht parteipolitisch binden und in erster Linie etwas zum Auf-
bau Palästinas beitragen wollten. 1934 spalteten sich die „Allgemeinen Zionisten“
auf Weltebene in eine mehr linksgerichtete Fraktion „A“, die Chaim Weizmann
nahe stand, und eine Weizmann-kritische konservative Fraktion „B“, wobei sich die
Gruppe „A“ eindeutig als stärkere Fraktion durchsetzen konnte. In Österreich blieben
die Anhänger der „A“-Fraktion hingegen in der klaren Minderheit.
1933 mussten die „Allgemeinen Zionisten“ auf internationaler Ebene ihre füh-
rende Rolle an das sozialistische Lager abgeben. In Österreich hingegen blieben sie
bis zum „Anschluss“ die stärkste zionistische Fraktion. Der stärker rechts stehenden
Fraktion „B“ gehörten auch der damalige Präsident der ikg, Dr. Desider Friedmann,
sowie der Amtsdirektor und Erste Sekretär, Dr. Josef Löwenherz , an. Der „Zionis-
tische Landesverband“ wurde durch den Austritt linker und rechter Gruppierungen
ebenfalls zu einem Sammelbecken der „Allgemeinen Zionisten“.
Obwohl die Zionistinnen und Zionisten 1932 innerhalb der Wiener Israelitischen
Kultusgemeinde durch ein Wahlbündnis von „Allgemeinen Zionisten“ und „Revisio-
nisten“ die relative Mehrheitsposition erobert hatten, beschränkte sich der Großteil
ihrer Anhängerinnen und Anhänger bis zum „Anschluss“ auf die finanzielle und ide-
elle Unterstützung des jüdischen Aufbauwerks in Palästina, etwa in Form von Spen-
den für die jüdischen Nationalfonds. Viele befassten sich mit zionistischer Geschichte
und lernten eventuell etwas Hebräisch, doch nur vergleichsweise wenige konnten sich
tatsächlich zur Auswanderung entschließen. Es waren vor allem einige Geschäfts-
leute, die den Versuch wagten, im Nahen Osten kleine Unternehmen zu gründen,
Rosenkranz, Verfolgung und Selbstbehauptung, S. 13.
Der aus Weißrussland stammende Chaim Weizmann (1874–1952) war maßgeblich am Zustandekom-
men der Balfour-Deklaration beteiligt gewesen und 1920–1931 sowie 1935–1946 Präsident der Zionis-
tischen Weltorganisation.
Löwenherz wurde 1938 innerhalb der von den Nationalsozialisten völlig neu strukturierten jüdischen
Gemeinde deren Präsident und Amtsdirektor.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519