Seite - 88 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Bild der Seite - 88 -
Text der Seite - 88 -
Gabriele Anderl
Ermangelung echter Waffen wurde die Kunst des Steineschleuderns geübt. Alfred
Reischer, ein ehemaliges Führungsmitglied des „Betar“, kommentierte dies in einem
Interview in den Achtzigerjahren so : „Man spielte Soldat, und in unserem Fall wurde
dies damit begründet, dass die Araber uns das Land nie freiwillig überlassen würden
und es zu einem Krieg kommen werde.“
1937 habe der damalige Bundeskanzler des österreichischen Ständestaates, Kurt
Schuschnigg, dem Sommerlager des „Betar“ am Wolfgangsee einen Besuch abgestat-
tet.
Eine prominente Figur innerhalb der zionistischen Rechten in Österreich war der
schon zuvor erwähnte Wolfgang von Weisl. Während der Zwanzigerjahre lebte er
teils in Wien, teils in Palästina, wo er für einige Zeit auch die Führung der „Revisio-
nistischen Partei“ übernahm. In Europa warnte von Weisl – wie er später in seinen
autobiografischen Schriften festhielt – in unzähligen Vortragsreisen „unermüdlich die
jüdischen Massen vor dem unabwendbaren Sieg Hitlers und dem ebenso unabwend-
baren Krieg zwischen Deutschland und Russland. Rettet Euch, solange Zeit ist. Packt
Eure Sachen und geht nach Palästina, legal oder illegal, aber geht !“
Von Weisl, der der schlagenden jüdischen Burschenschaft „Unitas“ angehörte, be-
fasste sich auch theoretisch mit dem Thema Kriegsführung, um sich auf einen künf-
tigen Dienst in einer jüdischen Armee in Palästina vorzubereiten.
Innerhalb der „Neuen Zionistischen Organisation“ formierte sich in Österreich,
als eine Art interne Opposition, die radikale Fraktion der sogenannten „Maximalis-
ten“, die im Gegensatz zu Jabotinsky jeglichen Kompromiss mit der britischen Man-
datsbehörde ausschlossen. Zu den Gründungsmitgliedern zählte der Wiener Rechts-
anwalt Willy Perl.
Perls Kanzlei am Wiener Stubenring diente ab 1937 als Drehscheibe für die von
ihm mitorganisierten illegalen Transporte nach Palästina. Mit dem aus Osteuropa
stammenden Mosche Krivoshein (Galili) und Wolfgang von Weisl zählte Perl 1937 zu
den Hauptinitiatoren jener Schiffstransporte, mit denen Juden unter Verstoß gegen
die britischen Einwanderungsbeschränkungen nach Palästina geschleust wurden.
Einer der Gründe für die Hinwendung zu dieser Methode war die Tatsache, dass
Mitglieder der revisionistischen Partei und des Jugendbundes „Betar“ seit deren Aus-
tritt aus der „Zionistischen Weltorganisation“ keinen Anspruch mehr auf legale Ein-
wanderungszertifikate besaßen. Die Mitglieder der Gruppe um von Weisl, Perl und
Interviews Gabriele Anderl mit Fred (Alfred) Reischer, Wien 1988, 1989 und 1990 ; Anderl, „Porträts“,
in : Hagen, Nittenberg (Hg.), Flucht in die Freiheit, S. 248ff.
Anderl, „Porträts“, in : Hagen, Nittenberg (Hg.), Flucht in die Freiheit, S. 200 ff.
Ebd., siehe zu : Wolfgang von Weisl, ???????
zurück zum
Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519