Seite - 96 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Gabriele Anderl
lich zu berücksichtigen, dass die Entstehung des modernen Zionismus ganz wesentlich
auch eine Reaktion auf den Antisemitismus gewesen ist. Wenn also „Zionismus“ als
primäres Motiv der Auswanderung nach Israel vor 1938 angeführt wird, so ist dies
immer auch in einem zumindest indirekten Zusammenhang mit dem Antisemitismus
zu sehen.
Ein prominentes Beispiel dafür ist der 1911 geborene Wiener Teddy Kollek, spä-
ter, von 1965 bis 1993 Bürgermeister von Jerusalem. Für ihn waren antisemitische
Erfahrungen entscheidend für den Entschluss, bereits Mitte der Dreißigerjahre nach
Palästina auszuwandern und in einen „Kibbuz“ einzutreten.
Gemäß den Angaben von Jonny Moser in seiner Demographie der jüdischen Bevöl-
kerung Österreichs 1938–1945 wanderten in den Jahren 1930 bis einschließlich 1937
etwas mehr als 1.600 Personen von Österreich nach Palästina aus. Moser hat auch
versucht, den Anteil von Jüdinnen und Juden an der österreichischen Gesamtaus-
wanderung der Jahre 1930 bis 1937 zu berechnen und dafür als Schlüssel den prozen-
tuellen Anteil der Jüdinnen und Juden an der österreichischen Gesamtbevölkerung
herangezogen (rund 2,83 Prozent). Für die Jahre 1934–1937 kommt er dabei zu einer
jährlichen Auswanderungszahl von insgesamt 56 Personen jüdischer Konfession in
verschiedene Länder der Welt. Die in Relation dazu „in diesen Jahren sehr beachtliche
Emigration nach Palästina“ ist bei dieser Berechnung offenbar nicht berücksichtigt.
Moser verweist auch auf den Knick im Jahr 1937 als Folge der zunehmend restrikti-
ven britischen Einwanderungsbestimmungen.
Laut seinen Angaben – er stützt sich auf das Statistische Jahrbuch für Österreich
1938 – betrug die Gesamtzahl der Auswanderer von Österreich nach Palästina in den
Jahren 1934 bis 1937 1.265, jene der jüdischen Auswanderer in andere Überseeländer
etwa 222.
Von April 1933 bis April 1936 wurden von der ikg Wien 3.186 deutsche Emig-
rantinnen und Emigranten betreut, die vor den Nationalsozialisten aus Deutschland
geflohen waren. Von diesen wurden 1.438 Personen nach Palästina oder in andere
überseeische Länder weitergeleitet.
Christian W. Haerpfer, „Israelische Bürger österreichischer Herkunft“, in : Weinzierl, D. Kulka, Vertrei-
bung und Neubeginn, S. 445 ff.; Pelinka, Emigration, S. 17 f.
52 Jonny Moser, Demographie der jüdischen Bevölkerung Österreichs 1938–1945, Schriftenreihe des
Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes zur Geschichte der ns-Gewaltverbrechen,
Nr. 5, Wien 1999, S. 11.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519