Seite - 102 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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10 Dieter Hecht
allgemein aus, denen wir in der Folge unsere Aufmerksamkeit zuwenden wollen. Als
erste Zäsur soll die unmittelbare Nachkriegszeit behandelt werden, als zweite der Zu-
sammenbruch der Wiener Morgenzeitung als Flaggschiff der jüdischen (zionistischen)
Presse im Jahr 1927 und als dritte Zäsur der Austrofaschismus. Auf die Zeit nach dem
Anschluss wird nicht eingegangen, denn infolge des 12. 3. 1938 wurden alle jüdi-
schen Zeitungen und Zeitschriften der Zwischenkriegszeit aufgelöst.
Nachkriegszeit
Zunächst führten der Zusammenbruch der Monarchie und die damit verbundenen
wirtschaftlichen Probleme zu einer Umstrukturierung des jüdischen Pressewesens.
Papiermangel, Inflation und neue Grenzen waren die wesentlichen Faktoren. Trotz-
dem gab es im Jahr 1919 noch elf Zeitungen in Wien. Hierbei handelte es sich um
zehn Periodika (Wochen- und Monatsschriften) – nämlich die Jüdische Morgenpost,
Jüdische Zeitung (JZ), Österreichische Wochenschrift (ÖW), Esra, Freie Jüdische Lehrer-
stimme, Jüdische Nachrichten für die Deutsch-Österreichische Provinz, Jüdische Korres-
pondenz, Jüdische Volksstimme, Freie Tribüne, Jüdische Gemeinschaft und die Wahrheit –
sowie eine Tageszeitung, die Wiener Morgenzeitung (WMZ). Bemerkenswert ist, dass
in ideologischer Hinsicht sechs von den elf Zeitungen, d. h. 55 %, zionistisch orien-
tiert waren (WMZ, JZ, Jüdische Volksstimme, Freie Tribüne, Esra und Jüdische Nach-
richten für die Deutsch-Österreichische Provinz). Obwohl die zionistische Bewegung
nur bei einer Minderheit innerhalb der jüdischen Bevölkerung Unterstützung fand,
konnten führende Zionisten ihre Publikationen erfolgreich am Markt positionieren.9
In der unmittelbaren Nachkriegszeit waren dafür drei Faktoren verantwortlich : 1.
Wien galt seit der Gründung der Welt im Jahre 1897 als Zentrum der zionistischen
Presse ; 2. Die zionistischen bzw. jüdisch-nationalen Organisationen und ihre führen-
den Mitglieder engagierten sich besonders für jüdische Flüchtlinge aus Galizien und
Am 20.5.1938 konnte der Zionistische Landesverband unter Duldung der Behörden die erste Nummer
der Zionistischen Rundschau (Herausgeber Emil Reich) herausgeben. Diese Zeitung konnte bis Ende
1938 erscheinen. Von Januar 1939 bis Dezember 1943 wurde in Wien ein Ableger des Jüdischen Nach-
richtenblattes aus Berlin veröffentlicht. Jens Budischowsky, „Die jüdische Presse 1938“, in : Historisches
Museum der Stadt Wien (Hg.), Der Novemberpogrom 1938. Die „Reichskristallnacht“ in Wien, Wien
1989, S. 107–111, S. 109–111.
Dieter J. Hecht, „Frauenarbeit und Frauenrecht“, in : Eleonore Lappin, Michael Nagel (Hg.), Frauen
und Frauenbilder in der europäisch-jüdischen Presse von der Aufklärung bis 1945, Bremen 2007, S. 161–
175, S. 167f. Zu jüdischen Journalisten in der Zwischenkriegszeit vgl. Evelyn Adunka, „Die Wiener jü-
dische Presse in der Zwischenkriegszeit anhand von vier Beispielen“, in : Susanne Marten-Finnis, Markus
Winkler (Hg.), Die jüdische Presse im europäischen Kontext 1686–1990, Bremen 2006, S. 223–233.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519