Seite - 104 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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10 Dieter Hecht
kationen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sowohl die bürgerlichen, aber auch
die proletarisch orientierten ZionistInnen nicht die Mehrheit der jüdischen Bevölke-
rung vertraten. Allen Strömungen – sowohl den links- als auch den rechtsorientierten
– waren der hohe Grad an Fraktionierung und die Instrumentalisierung der Presse
für politische Anliegen gemein. Die Instrumentalisierung betraf sowohl die politische
Beteiligung innerhalb der Kultusgemeinden als auch in der österreichischen Politik.
Dies spiegeln auch die umstrittenen Kandidaturen der jüdischnationalen Partei unter
Robert Stricker bei österreichischen Nationalrats- und Gemeindewahlen wider. Die
Mehrheit der jüdischen WählerInnen dürfte aufgrund mangelnder Alternativen die
Sozialistische Partei gewählt haben.
Die hohe Fraktionierung und die Verwendung der Zeitungen als Parteiorgane för-
derten zusammen mit schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen die Kurzlebigkeit
der Zeitungen, deren Bestand immer von finanziellen Problemen begleitet war und
politischen Konstellationen unterlag. Dies spiegelte sich auch in den Auflagen der
jeweiligen Zeitungen wider, die sich meist auf wenige hundert Stück beliefen. Da nur
unzureichende Zahlen über Auflagen vorliegen, ist es aber schwierig, Vergleiche zu
ziehen. Beispielsweise hatte die Wiener Morgenzeitung Mitte der Zwanzigerjahre eine
Auflage von rund 8.000 Stück, was für eine österreichische Tageszeitung relativ gering
war, für eine jüdische Zeitung jedoch eine sehr hohe Auflage bedeutete.
Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Erforschung des jüdischen Pressewesens ist
die Funktion von Journalistinnen. Jüdische Frauen arbeiteten als Journalistinnen in
der jüdischen, aber auch nichtjüdischen Presse. Ihre Präsenz darf gleichzeitig aber
nicht über die Marginalität von Frauen im jüdischen und nichtjüdischen Journalis-
mus hinwegtäuschen. Die meisten Journalistinnen konnten nur in unregelmäßigen
Abständen Artikel publizieren. Ausnahmen bilden jene, die durch ihr politisches
Engagement einzelnen Zeitungen und Parteien affiliiert waren. Der Großteil dieser
jüdischen Frauen engagierte sich in Frauenbewegungen, wobei viele auch als Schrift-
stellerinnen arbeiteten. In der Ersten Republik schrieben mehr als fünfzig jüdische
dische Zeitungen wie z. B. Der Weker und Unzer Wort ; Jack Jacobs, „Written out of History. Bundists
in Vienna and the Varieties of Jewish Experience in the Austrian First Republik“, in : Brenner, Penslar
(Hg.), In Search of Jewish Community, S. 115–133, S. 126. Vgl. Harriet Freidenreich, Jewish Politics in
Vienna 1918–1938, Bloomington 1991, 85 f.
Albert Lichtblau, „Partizipation und Isolation. Juden in Österreich in den ,langen‘ 1920er-Jahren“, in :
Archiv für Sozialgeschichte 37 , Bonn 1997, S. 231–253, S. 241–245.
Dieter Mühl, „Die Wiener Morgenzeitung und Robert Stricker. Jüdischnational-zionistischer Journalis-
mus in Wien“, in : Michael Nagel (Hg.), Zwischen Selbstbehauptung und Verfolgung. Deutsch-jüdische Zei-
tungen und Zeitschriften von der Aufklärung bis zum Nationalsozialismus, Hildesheim 2002, S. 253–268,
S. 260. Gabriele Melischek, Josef Seethaler (Hg.), Die Wiener Tageszeitungen 1918–1938, Frankfurt am
Main 1992.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519