Seite - 126 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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1 Marcus G. Patka
Stein‘ verstanden, mag sie nun in der Loge oder außerhalb derselben sich vollziehen.
Vornehmlich aber die Arbeit der Loge an sich selbst, durch Vorträge, welche der Er-
kenntnis und der geistig-sittlichen Erziehung der Brüder dienen sollen. Zur Innen-
arbeit zählt ferner die freimaurerische Arbeit im engsten Sinne des Wortes, und zwar
der Befriedigung der Gemütsbedürfnisse und der Erhebung des Herzens dienende
Brauchtum selbst, weiters Unterweisung über Inhalt, Zweck und Bedeutung dieses
Brauchtums und über freimaurerische Geschichte. Endlich wird die Pflege brüderli-
chen Gemeinschaftsgefühls, freundschaftlicher Geselligkeit und opferfreudiger Hilfs-
bereitschaft als Innenarbeit, ja häufig geradezu als die einzige berechtigte Arbeit der
Logen bezeichnet.
Als ‚Außenarbeit‘ gilt die Tätigkeit des einzelnen Bruders im freimaurerischen
Sinne in Familie und Beruf, im wirtschaftlichen und politischen Leben ; die Verbrei-
tung freimaurerischer Ideen in Wort und Schrift ; die Mitarbeit an der Förderung frei-
maurerisch gerichteter kultureller Bestrebungen, charitative und sonstige humanitäre
Arbeit der Logen solcher durch Schaffung, Erhaltung und Unterstützung entspre-
chender Institutionen ; die Beteiligung von Logen oder von Gruppen von Brüdern an
der kulturellen Arbeit profaner Vereine, endlich aktive Beteiligung an dem politischen
Leben durch Unterstützung nahestehender politischer Parteien und Richtungen, im
kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Kampfe.“ 0
Daher wurden ab 1869 an die zwanzig karitative Organisationen gegründet und
unterstützt , darunter in der Zwischenkriegszeit sowohl jüdische wie der Hilfsver-
band für notleidende jüdische Schulkinder und das Israelitische Blindeninstitut als
auch christliche wie die Rettungsgesellschaft der Barmherzigen Brüder, und im Stän-
destaat alle großen öffentlichen Sammelaktionen wie Winterhilfswerk, Februarop-
fer, Muttertag und Josefstische. Im Zuge der Zwangsmaßnahmen des Ständestaats
wurde das Logenleben jedoch stark eingeschränkt, und die Anzahl der Freimaurer
sank bis 1938 von 2.000 auf etwa 1.000. Polizeispitzel überwachten das Logen-
leben, die Beamten des öffentlichen Dienstes wurden bei Entlassungsdrohung zum
Austritt gezwungen. Aber ein Kniefall vor dem ns-Staat – wie in Deutschland – stand
0 Wladimir Misar, „Innen- oder Außenarbeit ?“, in : Wege und Ziele der Freimaurerei in Österreich. Fest-
schrift zum 50jährigen Bestehen der Freimaurer-Loge „Schiller“ in Wien, Wien 1925, S. 33.
Walter Göhring, Brigitte Pellar, Ferdinand Hanusch. Aufbruch zum Sozialstaat, Wien 2003, S. 148–149.
Wladimir Misar, „Die Großloge von Wien“, in : Wiener Freimaurer-Zeitung 1/1934, 8. Ders.: „Rechen-
schaftsbericht“, in : Wiener Freimaurer-Zeitung 1/1935, S. 10. 1/1936, S. 11. 1/1937, S. 1–14. 1/1938,
S. 10–11.
Vgl. Gregor Cardon (Kurt Reichl), „Die Großloge von Wien“, in : Reichspost, 30.4.1935 (Der Artikel
muss jedoch auch hinterfragt werden, weil Kurt Reichl bis 1933 ein hochangesehener Freimaurer war
und danach ins gegnerische Lager wechselte.)
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519