Seite - 146 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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1 Peter Landesmann
der Cheder als einzige Unterrichtsform für orthodoxe Knaben von der Volksschule
abgelöst wurde. Jedenfalls gab es im Jahr 1867 in Wien keinen Cheder mehr.
In Wien wurde 1854 eine Talmud-Thora-Schule gegründet. Gerson Wolf erwähnt
diese 1860 und bezeichnet sie – eigentlich zu Unrecht – als „Cheder“ , da sie eine
Volksschule war, in der auch jüdische Fächer unterrichtet wurden. Sie wurde von
der „Schiffschul“ errichtet, bestand noch im Jahr 1935 und war die einzige jüdi-
sche Volksschule Wiens. Die „Schiffschul“, zuerst in der Ankergasse (heute Holland-
straße), dann in der Großen Schiffgasse 8–10 (1938 völlig niedergebrannt), wurde
1864 unter der Leitung des Rabbiners Salomon Spitzer gegründet. Sie wurde, soweit
dies aus dem jährlichen Budget der ikg möglich war, mit einer Subvention bedacht.
Eine Talmud-Thora-Schule befand sich auch in Deutschkreutz, deren Direktor in den
Jahren 1825–1826 der in Wien wirksam gewesene Rabbiner Eliezer Hurwitz war.
In Galizien hingegen bestand der traditionelle Cheder-Unterricht als einzige
Schulform zumindest bis gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts. Einem „Akt des
Unterrichtsministeriums“ kann entnommen werden, dass der schon im Punkt 8 des
Toleranzpatentes vom 2. Jänner 1782 ausgesprochene Zwang zum Besuch der deut-
schen Schule gegen die Juden „in früheren Jahren nicht ausgeübt“ wurde.
Nachdem der Schulpflicht Geltung verschafft worden war, besuchten jüdische
Kinder von traditionell eingestellten Eltern neben der Volksschule weiterhin den
Cheder.
Die Jeschiwa
Das Lernen hatte im Judentum schon von jeher einen hohen, unumstrittenen Stellen-
wert. Es gab dem jüdischen Volk einen festen Rückhalt in einem Leben, das ohne-
hin reich an Erfahrungen von persönlichen Herabsetzungen war. Das Wissen um die
Regeln und Grundfesten des Lebens in der Welt gab das überlebenswichtige Über-
legenheitsgefühl gegenüber den Unterdrückern. Aus diesem Selbstbewusstsein floss
die lebenserhaltende Kraft des Judentums.
Die Verehrung, die dem Studium und daher dem Studierenden gegenüber an
den Tag gelegt wurde, lässt verständlich erscheinen, dass die Eltern eines heiratsfä-
higen Mädchens von einem zukünftigen Schwiegersohn erwarteten, dass er sich als
Jeschiwa-Student auszeichnete. Dafür waren die Schwiegereltern bereit, dessen Stu-
dium zu bezahlen.
Gerson Wolf, Geschichte der Juden in Wien, Wien 1876, S. 117.
Akt des Min. f. C. u. U. vom 12. Feber 1883, Nr. 3025, Zahl 324, Österreichisches Staatsarchiv Wien.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519