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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Seite - 147 -
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Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien 1 Ein Teil, an manchen Orten und in gewissen Zeitperioden ein Großteil der Kna- ben, setzte sein Talmudstudium in der Jeschiwa fort. Die Knaben wurden dort schon im Alter von elf bis zwölf Jahren aufgenommen. Die Neueingetretenen, Ne’arim genannt, wurden jeweils zu zweit nicht nur von dem Leiter, sondern auch noch von jeweils einem dreizehn- bis vierzehnjährigen Schüler (Bachur) betreut. Nach Er- reichen eines gewissen Wissensstandes durfte ein sogenannter Bachur Meschuchrar auch allein ohne Anleitung studieren. Zuerst wurde der Talmud mit seinen Kom- mentaren gelehrt, für fortgeschrittene Studenten wurden dann auch Gesetzeskodices (Alfassi, Arba Turim, Schulchan Aruch) unterrichtet. Auf die Zivilgesetze Choschen Mischpat legte man mehr Wert als auf die Ehegesetze (Even ha-Ezer), da Scheidun- gen nur Rabbiner aussprechen durften, die zumindest vierzig, gemäß einem anderen Minhag zumindest fünfzig Jahre alt waren und daher diese Gesetze zu einem spä- teren Zeitpunkt erlernen konnten. Die Unterrichtsmethode war relativ einheitlich. Zuerst diskutierten und analysierten die Studenten miteinander ein halachisches Problem, dann wurden die damit zusammenhängenden Fragen mit dem Lehrer be- sprochen, der ihnen dann auch die Problematik erläuterte. In der scharfsinnigen, manchmal mit überzogenen Argumenten geführten Diskussion der Schüler – Pilpul genannt – zitierte man verschiedene Talmudstellen oder Kommentare. Der Lehrer trug des Öfteren einen Chilluk vor, um die Schüler zu fordern und das Problem besser zu erläutern. Der Chilluk besteht aus einer irrealen Konstruktion von Sach- verhalten, der die Halacha ad absurdum führt, wobei die Grenzen zwischen Pilpul und Chilluk nicht genau zu ziehen sind. Letzteres wurde durch Jakob ben Joseph Pollack (1460/70 – nach 1522) in Polen eingeführt. Das Ziel des Unterrichts war, die Schüler zum Selbststudium zu führen. Die Jeschiwa und die minderbemittelten Jeschiwa-Studenten wurden von der Gemeinde erhalten. Dies bedeutete für die Mit- glieder der Gemeinde eine nicht zu unterschätzende Belastung, die auch in Zeiten wirtschaftlichen Niederganges so gut wie möglich aufrechterhalten wurde. Eine Je- schiwa, vor allem wenn sie von einem bedeutenden Talmudgelehrten geführt wurde, war der Stolz der Gemeinde, die sie in der aschkenasischen Welt gegenüber anderen Gemeinden hervorhob. Die Tage, an denen in verschiedenen Handelszentren öffentliche Märkte abgehal- ten wurden, waren auch für die Mitglieder der Jeschiwot bedeutungsvoll. Nicht nur die Oberhäupter der Jeschiwot trafen sich dort, um Probleme zu erörtern, sondern auch die Absolventen einer Jeschiwa erhielten dabei die Gelegenheit, durch Kontakte mit wichtigen Gemeindemitgliedern eine Einladung zur Probepredigt zu erhalten, die dann zu ihrer Anstellung als Rabbiner führen konnte. Die Anwesenheit von Bachu- rim und reichen jüdischen Handelsleuten bot auch den Heiratsvermittlern ein reiches Betätigungsfeld, um Eheverträge zu schließen.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Untertitel
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Autor
Frank Stern
Herausgeber
Barabara Eichinger
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2009
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78317-6
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
558
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort XI
  2. Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
  3. Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
  4. Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
  5. Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
  6. „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
  7. Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
  8. Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
  9. Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
  10. Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
  11. Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
  12. Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
  13. Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
  14. „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
  15. Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
  16. Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
  17. „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
  18. „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
  19. Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
  20. From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
  21. Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
  22. Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
  23. David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
  24. Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
  25. Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
  26. Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
  27. Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
  28. „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
  29. Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
  30. Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
  31. Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
  32. Personenregister 491
  33. Sachregister 503
  34. Biografien 519
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