Seite - 149 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien 1
in den Jeschiwot überall dieselben Kapitel des Talmuds unterrichtet werden sollten,
damit den Studenten die Freiheit eingeräumt werde, die Jeschiwa auch während des
Jahres zu wechseln. Die mangelnde Systematik im Unterricht in den Jeschiwot wurde
auch an dieser Stelle sowie in anderen kritischen Kommentaren bemängelt.
Eine traditionelle Jeschiwa wurde 1778 in Mattersdorf errichtet. Ihr Gründer war
Jeremiah ben Isaac Mattersdorf (gest. 1805). Sein Nachfolger von 1801–1806 war
Moses Sofer, bekannt als Chatam Sofer (1762–1839). 1806 wurde er als Rabbiner
nach Pressburg berufen, wo er die Leitung der Pressburger Jeschiwa übernahm. Unter
seiner Führung wurde sie – sagenhaft ausgedrückt – „zur größten Jeschiwa seit dem
Zeitalter der Lehrhäuser in Babylonien“. Sie war in der österreichisch-ungarischen
Monarchie auch die bedeutendste. Von dort wurde der Kampf gegen Reformtenden-
zen am konsequentesten und ohne Konzessionsbereitschaft geführt.
Im Jahre 1859 erhielt sie das Öffentlichkeitsrecht, das die Befreiung der Schü-
ler vom Militärdienst mit sich brachte. Allerdings konnten ihre Absolventen in der
westlichen Reichshälfte nicht als Rabbiner angestellt werden, da dort die Regelung
des Ministeriums für Cultus und Unterricht von 1850 galt, wonach Rabbiner die
Absolvierung von acht Gymnasialklassen und einem Semester Philosophiestudium
nachzuweisen haben.
Gerson Wolf bemerkte zu dieser Jeschiwa, dass dort das Lernen mit den Fehlern
der alten Jeschiwot geblieben sei, aber der Geist fehle . Es ist schwer zu sagen, ob
diese Kritik berechtigt oder nur die reformorientierte Einstellung des Autors dafür
maßgeblich war.
Simon Sofer (Schreiber), genannt Michtaw Sofer, Sohn von Chatam Sofer, war
von 1848 bis 1861 Rabbi und Leiter der Jeschiwa in Mattersdorf. Er unterfertigte ge-
meinsam mit neunzehn anderen Rabbinern eine Eingabe, die der Oberrabbiner von
Komorn, Pinkas L. Frieden, am 19. 1. 1859 an das k. k. Ministerium für Cultur und
Unterricht in Wien richtete und in der um die Befreiung ihrer Schüler vom Militär-
dienst ersucht wurde. Als Begründung führte er an, „dass nur im Falle der aufrechten
Erledigung ihres Ansuchens, die Schüler ruhig studieren konnten, und dies wäre auch
nur der einzige Weg um dieselben von dem Seminar in Padua [und] von den neo-
logischen religiösen Grundsätzen derselben für alle Zukunft fernzuhalten“. Aufgrund
des § 17 des Rekrutierungsgesetzes vom 29. September 1858 waren nämlich Schüler
öffentlicher Rabbinatsschulen vom Militärdienst befreit. Der oben erwähnte Akt
Wolf, Geschichte der Juden, S. 118.
Beigeschlossen dem Akt des Min. f. C. u. U. vom 7. August 1858, Nr. 23360, Zahl 7817, Österreichi-
sches Staatsarchiv Wien.
Siehe : Gerson Wolf, Studien zur Jubelfeier der Wiener Universität, Wien 1865, S. 160.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519