Seite - 150 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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1 0 Peter Landesmann
vom 7. August 1858 wurde im Zusammenhang mit einer Eingabe der Pressburger
Jeschiwa um die Verleihung des Öffentlichkeitsrechtes angelegt. Als Begründung des
Ansuchens wurde auch angeführt, dass die Gefahr bestehe, dass im Falle eines ab-
schlägigen Bescheides die Schüler in „neologe staatsgefährliche Seminare hineinge-
drängt“ würden. Staatsgefährlich deshalb, weil nur die Orthodoxie geschlossen hinter
dem Thron stehe.
Ignaz Deutsch (1808–1881), der selbsternannte Führer der Wiener Orthodoxie in
der Zeit bis zum Aufkommen der liberalen Ära, vermittelte diese Ansicht dem konser-
vativ eingestellten Minister für Cultus und Unterricht, Graf Leo Thun (1811–1888),
mit dem er in enger Verbindung stand. Daraufhin erteilte Graf Thun der Jeschiwa in
Pressburg das Öffentlichkeitsrecht.
Als Begründung gab er an, dass die Forderung reformorientierter Kreise, wonach
höhere, nicht ausschließlich jüdische Studien in das Studienprogramm für Rabbiner
aufgenommen werden mögen, abzulehnen sei, da diese mit den eigentlichen Auf-
gaben eines Rabbiners in keinem inneren Zusammenhang stehen würden und die
Reformbewegung der Juden in keiner Beziehung heilbringend wäre.
Azriel Hildesheimer (1820–1899) übernahm 1851 die Leitung der Jeschiwa in
Eisenstadt, an der er den Unterricht weltlicher Fächer wie Mathematik, Griechisch,
Latein, Deutsch sowie Werke der klassischen Literatur einführte. Diese Jeschiwa war
überaus erfolgreich. Studenten kamen aus vielen Ländern Europas dorthin. Trotzdem
wurde Hildesheimer auf dem 1868–1869 abgehaltenen Kongress der ungarischen Ju-
den von orthodoxen Rabbinern wegen seiner Weltoffenheit scharf angegriffen. Dies
war mit ein Grund dafür, dass Hildesheimer im Jahr 1869 die Jeschiwa in Eisenstadt
verließ und eine Berufung als Rabbiner nach Berlin annahm.
Bedeutende Jeschiwot gab es in Galizien, in Böhmen und Mähren, wobei die von
Nikolsburg, die eine gemäßigt orthodoxe Richtung vertrat, auf die Wiener Orthodo-
xie einen gewissen Einfluss ausübte, die sich aber in ihrer Bedeutung nicht mit dem
der Pressburger Jeschiwa vergleichen lässt.
Die Forderungen an das Jeschiwa-Studium, den Schülern eine umfassendere Bil-
dung zu vermitteln, sind bis in die jüngste Zeit immer wieder gestellt worden. Manche
Jeschiwot der orthodoxen Richtung waren – wie schon erwähnt – den Einflüssen der
Aufklärung gegenüber empfänglich, so zum Beispiel die Jeschiwot der neoorthodoxen
Richtung des Samson Raphael Hirsch (1808–1888). Sie wurden deshalb von der extre-
men Orthodoxie vehement angegriffen. Im Allgemeinen ist festzustellen, dass sich die
modernen Jeschiwot schrittweise den Rabbinerseminaren angeglichen haben.
Beigeschlossen dem Akt des Min. f. C. u. U. vom 7. August 1858, Nr. 23360, Zahl 7817, Österreichi-
sches Staatsarchiv Wien.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519