Seite - 164 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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1 Klaus S. Davidowicz
Juni, dass er keine Briefe erhalten würde und fragt ungeduldig : „Wann erscheint das
Werk ?“ Salomon nahm starken Anteil am beruflichen Werdegang seines Enkels,
unterstützte ihn finanziell und besorgte ihm chassidische Quellenschriften : „Geld
schicke Dir diese Woche. Wie ich höre verlangten man hier für Dein Buch K.[ronen]
5,40 das ist zu theuer – Es ist hier gedruckt Shivhei Hara’n Im Sihot Hara’n vielleicht
hast es nötig.“
Kurz vor seinem Tod im Dezember 1906 kann er noch das veröffentlichte Buch
erhalten, das ihm gewidmet war : „Meinem Großvater Salomon Buber, dem letzten
Meister der alten Haskala, bringe ich dieses Werk der Chassidut in Ehrfurcht und
Liebe.“ In späteren Auflagen änderte Buber dann den Text um : „Dem Gedächtnis
meines Großvaters Salomon Buber des letzten Meisters der alten Haskala bringe ich
in Treuen dieses Werk der Chassidut dar.“
Bubers Rabbi Nachman ist nicht zu vergleichen mit seinen frühen editorischen
Arbeiten. Seine Vorlage waren Rabbi Nachmans Sippurei Ma’assiot, die zweisprachig
(hebräisch/jiddisch) 1815 in Berditchev erschienen waren. In der Zeit von 1806 bis
1810 hatte sich Rabbi Nachman dazu entschlossen, seine Lehren in einer für die chas-
sidischen Geschichten unüblichen Form der symbolischen Märchen weiterzugeben.
Diese Art der Tikkun-Märchen findet man ansonsten nur bei den häretischen Fran-
kisten des achtzehnten Jahrhunderts. Er sah sich in geistiger Verbundenheit mit
Simeon bar Jochai (der traditionelle Autor des Sohar), der sich über kabbalistische
Dinge nur auf verhüllende Weise geäußert hätte. Für die in der Welt der Kabbala fest
verankerte Zuhörerschaft des Rabbi Nachman war es ein Leichtes, die symbolischen
Gewänder seiner Märchen zu durchstoßen. Fehlt das Wissen um die kabbalistischen
Bezüge, bleibt vieles in den Märchen völlig unverständlich.
Buber wählte aus den dreizehn größeren und sechs kleineren Märchen des Rabbi
Nachman nur sechs aus. In der neu bearbeiteten Fassung, die 1928 in den Chassidi-
schen Büchern erschien, ließ er sogar die „Geschichte vom Stier und dem Widder“ aus,
die „mir allzu fremd geworden ist, als dass ich sie weiter mitführen möchte“ 9. In der
Ausgabe von 1955 war sie dennoch wieder aufgenommen worden.
Die Wirkung von Bubers Rabbi Nachman bei der jüdischen und nichtjüdischen
Leserschaft kann gar nicht hoch genug bewertet werden. In der deutschen zionisti-
Ebd., S. 242.
Ebd., S. 248.
Siehe : Klaus S. Davidowicz, Zwischen Prophetie und Häresie, Jakob Franks Leben und Lehren, Wien 2004.
Folgende englische Übersetzung enthält einen ausführlichen Kommentar und Erläuterungen : Rabbi
Nachman’s Stories (Sippurey Maasioth), the Stories of Rabbi Nachman of Breslov, translated with notes
based on Breslover Works by Rabbi Aryeh Kaplan, Jerusalem 1983.
Martin Buber, Die chassidischen Bücher, Hellerau 1928, S. IX.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519