Seite - 170 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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1 0 Klaus S. Davidowicz
rühmtesten Chassidismus-Sammlung, Or ha-Ganuz (Die Erzählungen der Chassidim),
schließlich sind die Geschichten, die er aus der Legende übernahm, wie auch die an-
deren Teile der umfangreichen Anthologie, völlig neu überarbeitet und entsprechen
den hebräischen Vorlagen. „Erst eine Weile nachdem dieses Buch erschienen war, hat
sich mein Autorenverhältnis zur chassidischen legendären Überlieferung die strengere
Bindung auferlegt, die in jeder einzelnen Geschichte den mit ihr gemeinsamen Vor-
gang, wie roh und unbeholfen immer er tradiert war, zu rekonstruieren gebot und
deren Ergebnisse aus drei Jahrzehnten in dem Buch ‚Die Erzählungen der Chassidim‘
[…] gesammelt worden sind. Spät erst wurde in dem chronikartigen Roman ‚Gog
und Magog‘ […] unternommen, beiden, Treue und Freiheit, genugzutun.“
Als Buber am Ende seines Lebens seine verstreuten Schriften zum Chassidismus zu-
sammenstellte, entschloss er sich, die beiden frühen Werke nicht in den Kanon seiner
Werke einzuschließen. Sie passten nicht mehr mit Stil und Intention des späten Buber
überein. „Ich verstand dem inneren Zug zum Nachdichten des erzählerischen Materials
noch nicht Einhalt zu tun ; wohl trug ich keine ungehörigen Motive hinein, doch horchte
ich nicht aufmerksam genug auf den zwar rohen und ungelenken, aber volkstümlich
lebendigen Ton, der aus diesem Material zu vernehmen war […]. Die Darstellung der
chassidischen Lehre, die ich darin gab, war zuverlässig ; wo ich aber der legendären Tradi-
tion nacherzählte, tat ich es eben doch als der abendländische Autor, der ich war.“
Im Nachwort zu seiner romanhaften Chronik Gog und Magog bekannte er 1943 :
„Als ich in meiner Jugend das erste chassidische Buchwort vernahm, nahm ich es mit
einer chassidischen Begeisterung auf. Ich bin ein polnischer Jude, zwar aus einer Fa-
milie von Aufklärern, aber in der empfänglichen Zeit des Knabenalters hat eine chas-
sidische Atmosphäre ihren Einfluss auf mich ausgeübt. Es mag auch andere, weniger
fassbare Fäden geben. Gewissheit ist mir, dass, wenn ich damals gelebt hätte, als man
noch um das Wort Gottes selber und nicht um dessen Karikaturen kämpfte, auch ich,
wie so viele, meinem Vaterhaus entlaufen und Chassid geworden wäre. In der Epoche,
in die ich hineingeboren wurde, war es mir nach Generation und Situation verwehrt.
Nicht die Voraussetzungen fehlten mir, aber die innere Möglichkeit, sie umgewandelt
zu erhalten. Mein Herz gehört zu jenen von Israel, in denen sich heute, den blind Be-
wahrenden und den blind Bestreitenden gleicherweise entrückt, das Ringen vollzieht,
das der Erneuerung von Glaubensgestalt und Lebensgestalt vorausgeht. In diesem Rin-
gen setzt sich das chassidische fort, nur eben in einer Weltstunde, in der an die Stelle
des langsam scheidenden Lichtes die Finsternis getreten ist. Gewiss, ich bin nicht mit
meinem ganzen Bestande in der Welt der Chassidim – ähnlich hat es sich zumeist mit
Buber, Die Legende des Baalschem, S. 13–14.
Buber, Werke III, S. 935.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519