Seite - 188 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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1 Armin Eidherr
Mosche Silburgs Artikelserie in der kritik, die sich „Woss ich hob ajch zu sogn“
nannte, schließt sich zu einem großen Essay zusammen und erinnert inhaltlich (aber
auch in ihrer Rezeption) fatal an einen etwa ebenso langen Essay, der aber ein halbes
Jahrhundert später entstanden ist – beide jeweils in Umgebungen mit teilweise ähn-
lichen Problemen wie etwa dem Anstieg der „Mischehen“. Im Wien der Zwischen-
kriegszeit stiegen die „Mischehen“ von Juden auf ein Drittel – in Amerika ist das auch
gegenwärtig ein heiß diskutiertes „Problem“.
Ich meine Cynthia Ozicks „Towards a New Yiddish“ , ein Text, der ebenso wie
Silburgs Text zwar viel Aufsehen erregte, jedoch so gut wie keine praktischen Auswir-
kungen hatte, und den ich bei der Zusammenfassung von Silburgs Aussagen verglei-
chend heranziehen möchte, um Kontinuitäten und Aktualitäten der Fragestellungen
zu zeigen. Die Wirkung Silburgs, was etwa das „Aufsehen“ in den literarischen Krei-
sen betrifft, bezeugt beispielsweise Melech Rawitsch in Mayn leksikon, wo es heißt :
„er hot dort geschribn a sserje artiklen mitn gewagtn nomen ‚woss ich hob ajch zu sogn‘
– un er hot arajngesogt af tisch un af benk. doss brejte jidische lebn is sich gegangen sajn
weg, hot sich wejnik woss gekimert wegn dem, woss moische silburg hot im gehat zu sogn,
nor in der jidischer literatur hot men doss arajnsogn bamerkt un sejer ernsst sich derzu
bazojgn. der inhalt fun di artiklen is gewesn : jidischer inhalt ken eksisstirn nor in jidische
formen, und moderne jidische form is in der erschter reje die jidische folkss-schprach. ober
dosss hungerdike noch-milchome win hot kejn platz far kejn jidisch lebn in jidisch nischt
gehat, un in pojln is demolt gewesn di grojsse chwalje fun jidisch-zufluss un merere jidische
schrajber fun win hobn sich aribergetrogn zu di grojsse jidische massn in pojln un beßoi-
chem ojch moische silburg.“
(„Er schrieb dort [in der Kritik] eine Artikelserie mit dem gewagten Namen ‚Was ich euch
zu sagen habe‘ – und er hat es allen aus Leibeskräften hineingesagt. Das allgemeine jüdische
Leben ist seinen Weg dahingegangen, kümmerte sich wenig darum, was Mosche Silburg
ihm zu sagen hatte ; aber in der jiddischen Literatur bemerkte man das Hineinsagen wohl
und reagierte sehr ernst darauf. Der Inhalt der Artikel war : Jüdischer Inhalt kann nur in
jüdischen Formen existieren ; und moderne jüdische Form ist in erster Reihe die jiddische
Sprache. Doch das hungrige Nachkriegswien hatte keinen Platz für ein jüdisches Leben in
Jiddisch ; und in Polen gab es damals die große Welle des Jiddisch-Zustroms und mehrere
Cynthia Ozick, „Towards a New Yiddish“, in : dies., Art and Ardor, New York 1983, S. 151–177. (Vor
dieser ersten Veröffentlichung in einem Buch wurde „Towards a New Yiddish“ von Ozick bereits 1970
in Israel vorgetragen.)
Ravitsh, Mayn leksikon, Bd. I, S. 88 f. Auch Rawitsch selbst tendierte nach Polen. Siehe auch : Rawitsch,
Das Geschichtenbuch meines Lebens, S. 167.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519