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00 Karin Wagner
Karl Kraus 0 wichtigen Pianisten bei dessen Offenbach-Lesungen. In Form seiner
um „Zeitstrophen“ erweiterten Bearbeitungen von Offenbach-Operetten belebte Karl
Kraus auf seine Art die Welt der Operette. Tagespolitisches Geschehen war ihm dabei
Stoff für die brisanten Texte. Ernst Křenek betonte 1929 in den Musikblättern des An-
bruch die Bedeutung Offenbachs für Kraus in dessen „Kampf gegen die Dummheit
und Schuftigkeit der Zeitgenossenschaft“ und bemerkte, wie „glänzend sich auch hier
wieder die Eigenart dieses größten lebenden Meisters der deutschen Sprache bewährt“
hätte, „am überlieferten Text und an der gegebenen Situation sich zu entzünden und
aus ihnen eine im Original selten geahnte Größe und Wucht der Gestalt zu formen
[…]“. Den Offenbach’schen Charakteren Rechnung tragend, an mancher Stelle be-
gleitet vom Klavier, trug Kraus heftig gestikulierend im Sprechgesang vor. Der Pianist
saß dabei, dem Blick des Publikums verborgen, hinter einem Paravent. Wie Franz
Mittler selbst beschrieb, ging es allein darum, dass „Karl Kraus seine unvergleichliche
Darstellungskraft im Dienste eines Kunstwerks entfalten konnte und daß ihm die
Musik den richtigen Hintergrund dazu lieferte“.
Als Liedkomponist – dabei auch immer wieder Kraus’ Texte vertonend – und als
Begleiter war Franz Mittler in den Dreißigerjahren in Wiens moderater Moderne
erfolgreich etabliert. Dieser Kreis bildete auch Eric Zeisls Umfeld. Die Schulanstalten
um Eugenie Schwarzwald , das Volksheim der Wiener Volkshochschule, der Musik-
verein und in erster Linie das Wiener Konzerthaus waren Spiel- und Wirkungsstätten
von Mittler und Zeisl. Nach einem Liederabend im Kleinen Konzerthaussaal im
Mai 1937 etwa schrieb Das Echo : „Uraufführungen in Fülle brachte ein Konzert im
Schubertsaal ; […] einige Lieder von Erich Zeisl, die in ihrem Einfallsreichtum und
ihrer musikalischen Durcharbeitung deutlich den Stempel des hochbegabten Kom-
ponisten tragen. Franz Mittler wiederum – auch als unvergleichlicher Begleiter am
Flügel […].“ Gleich Mittler wurzelt auch Zeisls Stilistik in der Spätromantik : Der
bei Richard Stöhr , Joseph Marx und Hugo Kauder Ausgebildete, dessen Lieder
als gelungene Verbindung von „Wolfscher Geistigkeit“ mit „Straußischer Melodik“
rezensiert wurden, stand, zumal durch die Vermittlung der Traditionalisten Stöhr und
0 Vgl. dazu Irmgard Schartner, Karl Kraus und die Musik, Frankfurt am Main, 2002.
Ernst Křenek, „Karl Kraus und Offenbach“, in : Musikblätter des Anbruch. 1929/3, S. 135.
Franz Mittler, „Es war nicht leicht, aber schön …“, in : Forum, Juni 1956, S. 226.
Vgl. dazu Paul Stefan, Frau Doktor. Ein Bildnis aus dem unbekannten Wien, München 1922.
Programmzettel : Lieder-Abend Marianne Mislap-Kapper, Mittlerer Konzerthaussaal, 14. März 1933
(Zn).
Das Echo, 22. Mai 1937.
Vgl. dazu Hans Sittner, Richard Stöhr. Mensch/Musiker/Lehrer, Wien, München 1965.
Vgl. dazu Otto S. Kauder, Hugo Kauder – Werkverzeichnis. o.O. 1996.
Neues Wiener Journal, 29. November 1931.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519