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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Seite - 247 -
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Seite - 247 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus

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Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle von der Leidenschaft, die Lulu in ihm entfacht – er kann sich ihrer nicht erwehren. In der Szene, die zu seinem Tod führt, macht seine krumme Körperhaltung die zer- fallenden, zerfließenden Körpergrenzen, den zerbröckelnden Körperpanzer deutlich. Das Motiv des Panzers ist indessen in den Rüstungen der männlichen Revuetänzer bereits vorgezeichnet : vor dem Betreten der Bühne werden ihnen demonstrativ nach- einander die Visiere der römischen Helme heruntergeklappt, sodass sie – gewappnet und hermetisch abgeriegelt – den Verführungen von Bühne und Schauspiel stand- halten können. Lulu selbst kennt nicht die Liebe und nicht die Hingabe, sondern stürzt alle ins Verderben, die sie lieben. Am Ende trifft sie die Strafe : Sie stirbt allein, ermordet vom blutrünstigen Schlächter Jack the Ripper, während Shigolch ein neues Opfer findet und Dr. Schöns Sohn Alwa, der Lulu liebte, sich am Ende des Films einem Weihnachtszug anschließt. Die Visualisierung der Andersartigkeit, die Sichtbarmachung des „Feindes“, wurde kulturell eingeübt etwa über die Darstellung einer verderblichen, lasziven, sexbesesse- nen und doch indifferenten Weiblichkeit in Gestalt des blutsaugenden Vamps. Filme solchen Inhalts erfreuten sich in den 1920er-Jahren enormer Beliebtheit. In ihnen wurden jedoch nicht nur Kompensationsmöglichkeiten für reale Triebversagung ge- boten, sondern zugleich kulturelle Wahrnehmungsmuster von Weiblichkeit und Jü- dischsein eingeübt und gefestigt, was schließlich auch mit dafür verantwortlich war, dass Hitlers Bezeichnung der Juden als „Blutsauger“ und „Völkervampir“ von seiner Gefolgschaft so gut verstanden wurde. Von Dracula und seinen erotischen Raubzügen über Fu Manchu, dessen Begleiterin die eurasische Frau mit dem Phallus war, bis hin zu Nosferatu, bei dem bereits der ökonomische Erotizismus des Vampirs im Vorder- grund stand, war die Kanalisierung der unterdrückten Begierden derer, die weder se- xuell noch ökonomisch auf ihre Rechnung kamen, eingeübt worden, sodass Hitler im „Juden“ die Urform der sexuellen Frau, den Meistervampir, identifizieren konnte, der dem Aufstieg der „Herrenrasse“ in ein perfekt ausbalanciertes „Asgard“ von ent- haltsamen Männern und ununterbrochen gebärenden Frauen im Wege stehe. War Dalila der Inbegriff des Verrats und der Täuschung, so waren Judith und Sa- lome die Frauen mit der Waffe, die phallischen Frauen, die von der kollektiven Ima- gerie angerufen wurden, um sie zu vernichten. Über diesen nach außen gekehrten, jedoch von innen her motivierten Vernichtungswillen urteilte Karl Kraus folgender- maßen : „Die große Vergeltung hat begonnen, die Revanche einer Männerwelt, die die eigene Schuld zu rächen sich erkühnt.“ In den bildlichen Darstellungen des Fin de Siècle erbitten die Judiths und Salomes nicht nur die Bluttat (=Kastration), Vgl. Ebd., S. 562ff. Zitiert nach Hans Mayer, S. 141.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Untertitel
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Autor
Frank Stern
Herausgeber
Barabara Eichinger
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2009
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78317-6
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
558
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort XI
  2. Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
  3. Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
  4. Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
  5. Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
  6. „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
  7. Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
  8. Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
  9. Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
  10. Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
  11. Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
  12. Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
  13. Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
  14. „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
  15. Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
  16. Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
  17. „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
  18. „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
  19. Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
  20. From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
  21. Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
  22. Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
  23. David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
  24. Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
  25. Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
  26. Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
  27. Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
  28. „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
  29. Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
  30. Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
  31. Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
  32. Personenregister 491
  33. Sachregister 503
  34. Biografien 519
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