Seite - 261 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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„Being different where being different was definitely not good“ 1
zwar in der Minderzahl, akkulturierten sich jedoch nicht nur an der „Vorstellungswelt
des ,bürgerlichen Wertehimmels‘, sondern beteiligten sich zugleich an dessen Um-
deutung und an den Verhandlungsprozessen darüber, was ,bürgerliche Kultur‘ und
,Bürgerlichkeit‘ sei“. In diesem Sinne ist der Raum der gemeinsamen Kultur nicht
Monopol einer Mehrheitskultur, sondern wird von Angehörigen aller kulturellen
Gruppen bestimmt. Der dynamische Charakter jüdischer Identitätskonstruktionen
hat zur Folge, dass ein allein auf religiöse Observanz reduziertes Identitätsverständnis
diesen komplexen Prozessen nicht mehr gerecht zu werden vermag. Wie aus den
biografischen Aufzeichnungen jüdischer Frauen hervorgeht, bewegten sie sich auch
nach dem Austritt aus der jüdischen Gemeinschaft zumeist in Kreisen, die einem
ähnlichen Milieu entstammten. In diesem Sinne kann der Akt des Religionsaustrittes
auch als spezifische Antwort auf jüdische Identitätskonstruktionen im Zusammen-
hang mit den Idealen der Emanzipation gelesen werden. Konfessionslosigkeit als Aus-
druck einer säkularen Grundhaltung stand bei Frauen der jüngeren Generation auch
häufig im Zusammenhang mit der weit verbreiteten Identifikation mit sozialistischen
Idealen. Die Tatsache, dass dieser Schritt jedoch nicht zwangsläufig die Aufgabe ihrer
jüdischen Identität bedeutete, wird exemplarisch in den Erinnerungen der 1907 in
Wien geborenen Sozialpsychologin Marie Jahoda deutlich : „Nach österreichischem
Recht konnte jedermann mit sechzehn seine Religionszugehörigkeit unabhängig vom
Rest der Familie selbst bestimmen. In diesem Alter hatte ich meine inneren Kämpfe
um Gott schon hinter mir und beschloss, dass ich keinen religiösen Glauben hatte.
Ich trat daher aus der Religionsgemeinschaft aus, hörte aber nicht auf, von mir selbst
als Jüdin zu denken.“ Jüdische Identität lässt sich demnach nicht allein auf religiöse
Zugehörigkeit und Observanz reduzieren, sondern greift in einer Vielzahl an dynami-
schen Prozessen, die jeweils eine individuelle Antwort auf die spezifische Identitäts-
verortung darstellen, noch darüber hinaus.
Till van Rahden, „Von der Eintracht zur Vielfalt. Juden in der Geschichte des deutschen Bürgertums“,
in : Gotzmann, Liedke, van Rahden (Hg.), Juden, Bürger, Deutsche, S. 27.
Vergleiche dazu auch Georg G. Iggers, „Ohne jüdische Identität keine jüdische Geschichte“, in : Michael
Brenner und David N. Myers (Hg.), Jüdische Geschichtsschreibung heute. Themen, Positionen, Kontrover-
sen, München 2002, S. 44–53.
Marie Jahoda, Ich habe die Welt nicht verändert. Lebenserinnerungen einer Pionierin der Sozialforschung,
Wien 1997, S. 30.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519