Seite - 294 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Elisabeth Malleier
Flügel der österreichischen Frauenbewegung zu, der sich nach dem Ersten Weltkrieg
immer mehr von den SozialdemokratInnen entfernt und sich den Großdeutschen an-
genähert hatte. Schwarz’ Schlussplädoyer in diesem Artikel mag daher auch den ös-
terreichischen Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung gegolten haben : „Die
Frauenbewegung der Zukunft kann nur auf dem Boden des Sozialismus zu neuem
Leben erwachen.“
Die hier vorgestellten Frauen zeichnete vor allem eines aus – ein langer Atem. In
jahrzehntelanger Kleinarbeit kämpften sie für das Recht der Gestaltung der Welt nach
eigenen Vorstellungen. Regine Ulmann beispielsweise, die 1866/67 eine der Gründe-
rinnen des „Mädchen-Unterstützungs-Vereins“ für jüdische Mädchen war, firmierte
1938 – also siebzig Jahre später ! – mit über neunzig als letzte Präsidentin des von den
Nazis zwangsaufgelösten Vereins. Mit den Stereotypen von Weiblichkeit mancher
männlicher Protagonisten der „Wiener Moderne“ hatten diese Frauen wenig zu tun.
Sie waren selbst Vorläuferinnen und Trägerinnen dieser Moderne, zu deren wesentli-
chem Merkmal der Wandel der Geschlechterverhältnisse gehörte. Doch die schon zu
Lebzeiten erfahrene Anerkennungsverweigerung marginalisierte ihre Leistungen über
ihren Tod hinaus, wie Frauke Severit in ihrer Arbeit zu Frauen der „Wiener Moderne“
feststellte. Dabei beinhaltete die feministische Vision die Vorstellung von der Be-
freiung aller Menschen, wie Leopoldine Kulka deutlich zum Ausdruck brachte: „Jeder
Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner.“
Manche „frauenbewegte“ Frauen, wie beispielsweise Henriette Weiss, hatten bereits
um die Jahrhundertwende versucht, in Zusammenarbeit mit den männlichen Vertre-
tern der Wiener jüdischen Gemeinde eine Verbesserung der weiblichen Berufsausbil-
dung zu erlangen, scheiterten und machten ihre Erfahrungen und ihre Kritik öffent-
lich. Um diese sich im Aufbruch befindlichen Frauen scheinen sich die führenden
Kräfte der jüdischen Gemeinde in Wien kaum bemüht zu haben. Ihnen wurde vielfach
Irene Bandhauer-Schöffmann, „Der ,Christliche Ständestaat‘ als Männerstaat ?“, in : Emmerich Talós,
Wolfgang Neugebauer, Austrofaschismus. Politik – Ökonomie – Kultur 1933–1938, Wien 2005, S. 254–
281 ; Gehmacher, Völkische Frauenbewegung.
Schwarz, in : Arbeiter-Zeitung, 1933.
Lisa Fischer, „Über die erschreckende Modernität der Antimoderne der Wiener Moderne oder über
den Kult der toten Dinge“, in : Die Frauen der Wiener Moderne, Lisa Fischer, Emil Brix, Wien 1997,
S. 208–217.
Frauke Severit (Hg.), Das alles war ich. Politikerinnen, Künstlerinnen, Exzentrikerinnen der Wiener Mo-
derne, Wien, Köln, Weimar 1998, S. 7.
Leopoldine Kulka, „Rückblick und Ausschau“, in : Neues Frauenleben, Wien 1908, Nr. 1, S. 14.
Malleier, „Das ,Kaiserin Elisabeth-Institut für israelitische Krankenpflegerinnen‘ im Wiener Rothschild-
Spital“, in : Wiener Geschichtsblätter. Verein für Geschichte der Stadt Wien (Hg.), Jg. 53, Heft 4, Wien
1998, S. 249–269.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519