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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Seite - 335 -
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Vom Schielen der Sinne schreibt Balázs in einem unveröffentlichten Dialog über die „Maskenfreiheit“, „und es bedeutet einen tiefen Schmerz. Den Schmerz, daß es keine so große Leidenschaft noch Ekstase gibt, die den ganzen Menschen restlos in sich aufnehmen würde. Immer bleibt ein Rest zurück, der nicht teilnimmt, der außerhalb bleibt und – zusieht. Und damit unsere ehrlichsten Gesten als Schauspiele diskreditiert. […] Jede Maske hat die Melancholie eines aufrichtigen Geständnisses. Denn die Maske sagt : Ich bin anders als ich scheine. Sie trügt nicht, wie so oft das offene Gesicht. Sie sagt : Ich bin auch sonst, auch ohne Maske, immer anders als ich scheine. Mit einer Maske kann man aufrichtig reden. Denn sie zeigt das wahre Gesicht.“ Balázs spielt diese Figur des Bewusstseins als Vergessen, als Verdrängung des Mögli- chen – und deren Überwindung im Maskenball, im Rausch, im Schwindel, in dem, was Musil den „anderen Zustand“ nannte, immer wieder auf überraschende Weise durch. „Nicht was man miteinander erlebt hat ist entscheidend, sondern das, was man eben nicht erlebt hat.“ So sinniert ein zufällig wieder getroffener Jugendfreund beim Wein in Grinzing über die Vergangenheit. „Siehst du nicht auch die vielen abzweigenden Wege, die du auch hättest gehen können, die wir hätten gehen können, wenn nicht irgend- ein Zufall uns geschoben hätte ? Sie alle gehören zu unserer Vergangenheit. Denn das waren nicht solche Möglichkeiten wie die der Lotterie. Es waren unsere vorbestimmten Schicksalswege, und daß wir von ihnen abirrten, ist uns Lebensinhalt geworden.“ Robert Musil sprach später im Mann ohne Eigenschaften vom „Möglichkeitssinn“. Um nichts anderes kreisen Balázs’ Feuilletons. Selbst dann, wenn er in die Dimen- sion der Atome eintaucht, in die unendliche Welt der Zwischenräume, die Welt der Menschen. Das Ganze unserer Möglichkeiten, jene Dimension hinter dem zufällig Realisier- ten, zieht uns an, eine freilich, wie auch Balázs erkennt, fatale Anziehung. So „Trauen wir dem Selbstgewollten, Selbstentschlossenen nie ganz, und eine tiefe Sehnsucht lebt in uns nach dem verlorenen Paradies der Unfreiheit, in dem wir wie im Mutterleib noch kein selbstbestimmtes eigenes Leben zu leben brauchten“. Wenn unser Mensch- sein freilich Existenz bedeuten soll und nicht nur Auflösung, das Echte nur denkbar ist als die Verweigerung des Realen, dann muss Balázs sein Bild von den Zwischen- räumen umkehren, und auch das Gegenteil denken : „Dort, wo das Unechte beginnt, dort beginnt der Mensch. (Man sollte es vielleicht doch nicht verachten.) Denn je weniger Rasse, je mehr Individualität er hat, um so unechter wird er. Unsere tiefe Sehnsucht nach Echtheit aber ist unsere Sehnsucht nach dem Nichtsein.“ Béla Balázs, „Maskenfreiheit (Ein Fastnachts-Dialog)“, Typoskript in : mta, Ms 5014/133. Béla Balázs, „Vergangenheit. Ein Gespräch beim Wein“, in : Der Tag, Nr. 1056, Wien, 8.11.1925.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Untertitel
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Autor
Frank Stern
Herausgeber
Barabara Eichinger
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2009
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78317-6
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
558
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort XI
  2. Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
  3. Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
  4. Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
  5. Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
  6. „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
  7. Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
  8. Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
  9. Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
  10. Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
  11. Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
  12. Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
  13. Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
  14. „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
  15. Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
  16. Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
  17. „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
  18. „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
  19. Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
  20. From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
  21. Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
  22. Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
  23. David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
  24. Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
  25. Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
  26. Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
  27. Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
  28. „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
  29. Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
  30. Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
  31. Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
  32. Personenregister 491
  33. Sachregister 503
  34. Biografien 519
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