Seite - 377 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Bild der Seite - 377 -
Text der Seite - 377 -
Arthur Schnitzler
[…] Ich finde es auch ganz in der Ordnung, dass Schriftsteller, die in hebräischer
Sprache schreiben, sich hebräische oder auch jüdische Dichter nennen. Ich könnte
auch nichts dagegen einwenden, dass Dichter jüdischer Abstammung, die bisher in
einer anderen Sprache geschrieben haben, aus Empörung über die Dummheit und
Pöbelhaftigkeit des Antisemitismus, der es ihnen verwehren möchte sich als Ange-
hörige einer Nation zu bekennen und zu fühlen, auf deren Boden sie geboren und
in deren Sprache sie aufgezogen, ja, deren Sprache sie vielleicht weiter zu bilden ge-
holfen haben, dass solche Dichter die bisher von ihnen gebrauchte, von ihnen ge-
liebten Sprache abschwören und sich von nun ab der hebräischen Sprache bedienen,
um ihre Werke zu schaffen, wodurch sie sich dann zweifellos das Recht erworben
hätten, sich als jüdische Dichter zu bezeichnen. So lange sie aber weiter in deut-
scher Sprache schreiben – selbst wenn ihre Sympathie für die Volksgemeinschaft in
der sie leben, durch die Verleumdungen und sonstigen Gemeinheiten, die sie von
gewissen Vertretern dieser Volksgemeinschaft erleiden mussten, erheblich gemindert
worden wäre – wird ihnen nichts übrig bleiben, als sich deutsche Dichter zu nennen,
wenn sie überhaupt Dichter sind, so gewiss Heine ein deutscher Dichter war, von
hundert andern deutschen Dichtern jüdischer Abstammung zu schweigen, so wahr
Börne, Gundolf als deutsche Schriftsteller, Brandes als ein grosser dänischer, Proust
als französischer Dichter bezeichnet werden müssen. Und man frage doch einmal die
deutschen lebenden Dichter, die es wirklich sind, man frage Heinrich Mann, Thomas
Mann, Gerhart Hauptmann, Hesse, Unruh, wer ihnen die deutscheren Dichter sind :
Wolzogen, Dinter und manche andere dieser Sorte, oder Wassermann, Werfel, Beer-
Hofmann und ein Dutzend andere deutsche Dichter jüdischer Abstammung, die ich
hier nennen könnte.“
Wenn aber Richard Charmatz allein seiner Verwurzelung mit der deutschen Kultur
Bedeutung beimaß, machte Schnitzler auf seine ‚Rassenzugehörigkeit‘ aufmerksam
und betonte außerdem, wie viel die deutsche Kultur dem Judentum zu verdanken
habe. Und während ihm Leonie Hildecks Interesse an der jüdischen Problematik
im Weg ins Freie zu einseitig scheint, kritisiert er an der Rezension seines Bekannten
Arthur Schnitzler, „Meine Stellung zum Zionismus. Ein unbekannter Brief aus dem Nachlass“, in : Die
Jüdische Welt, Beilage zum Aufbau, New York, 8.5.1942 ; ebenso : Hans Ulrich Lindken, Arthur Schnitz-
ler. Aspekte und Akzente. Materialien zu Leben und Werk, Frankfurt am Main u. a. 1984 (=Europäische
Hochschulschriften R. 1 Bd. 754), S. 84f. Zur Diskussion darüber, welche Schriftsteller als jüdisch be-
zeichnet und welche Kriterien dafür herangezogen werden sollten, vgl. Hans Otto Horch, „Heimat und
Fremde. Jüdische Schriftsteller und deutsche Literatur oder Probleme einer deutsch-jüdischen Literatur-
geschichte“, in : Julius H. Schoeps (Hg.), Juden als Träger bürgerlicher Kultur in Deutschland, Stuttgart,
Bonn 1989, S. 41–65, S. 45ff.
Arthur Schnitzler, Briefe Bd. 2 : 1913–1931, 4.1.1913, S. 3f. (an Richard Charmatz).
zurück zum
Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519