Seite - 444 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Birgit Peter
Richter schreibt über ihre Kindheit und Jugend in ihren Lebenserinnerungen Summe
des Lebens vom Besuch aller Gottesdienste, „ausgenommen den jüdischen“. 9 Helene
Richter verfasste als Jugendliche eine Schrift, „Unser Weg zum Christentum“ 0.
Bemerkenswert sind die Viten von Elise und Helene Richter in vielerlei Hinsicht :
Helene schaffte es als Autodidaktin – anders als ihre Schwester Elise, die sich als erste
Frau in Wien habilitierte –, zu einer bedeutenden Anglistin sowie Theaterhistorikerin
und -kritikerin zu werden. Die Universitäten Heidelberg und Erlangen verliehen ihr
die Ehrendoktorwürde, die Stadt Wien ernannte sie zum „Bürger“ . In ihren Studien
versuchte sie unter anderem das Zusammenspiel von Nation, Gesellschaft und Kultur
nachzuweisen. Sie sah sich als Deutschösterreicherin und betrachtete die Kategorisie-
rung „jüdisch“ als für ihren Lebensentwurf unerwünscht und irrelevant.
Ihre über das österreichische Nationaltheater transportierte Utopie des Habsbur-
gerreichs als völkerverbindender Staat unter deutschösterreichischer Patronanz, in
dem Kunst und Kultur wesentliche Träger und Künstler Vermittler dieser Idee sind,
findet sich ähnlich bei Stefan Zweig oder kritisch reflektiert bei Arthur Schnitzler .
Wien dient in dieser Konstellation als Labor dieser Kulturutopie.
Vorbildliche Wiener Eleganz
Im April 1899 gastierte im Irving Place Theater in New York der „[…] unzweifel-
haft grösste aller lebenden Schauspieler : Adolf Ritter von Sonnenthal“ , seit 1856
Mitglied des Wiener Hofburgtheaters, und zwar als Schauspieler, Regisseur und
zweimal als dessen provisorischer Direktor. In den autobiografischen Schriften von
Stefan Zweig, Arthur Schnitzler und Max Reinhardt wird mit selbsterklärendem
Gestus, mit der Sicherheit, dass dieser Name nicht in Vergessenheit geraten könnte,
Elise Richter, Summe des Lebens, hg. vom Verband der Akademikerinnen Österreichs. Wien 1997, S. 59.
0 Ebd., S. 58.
Siehe : Hedwig Kuranda, „Frauen von heute. Helene Richter“, in : Vossische Zeitung 1931, S. 4 (Zei-
tungsartikel, Nachlass Elise und Helene Richter, Wienbibliothek, Handschriftensammlung, H.I.N.
231885).
Helene und Elise Richter fühlten sich „ihrem Wien“ so verbunden, dass sie – trotz einer Einladung nach
England – nicht emigrierten. Vgl. Biografisches, Weblog Elise und Helene Richter http ://richter.twoday.
net/topics/Biografisches/, Zugriff 20. September 2007 ; Elise Richter, Summe des Lebens, S. 221.
Vgl. Arthur Schnitzler, Jugend in Wien. Eine Autobiographie. Wien, München, Zürich 1968.
Ankündigung des Gastspiels von Adolf von Sonnenthal, Irving Place Theater, 6.–14. 4. 1899, Nachlass
Adolf von Sonnenthal, Schachtel „Varia“, Österreichisches Theatermuseum.
Schnitzlers Vater war mit Sonnenthal befreundet, der junge Schnitzler legte ihm seine ersten dramati-
schen Arbeiten vor, er spielte mit dessen Kindern Theater. Vgl. Schnitzler, Jugend in Wien, S. 135f.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519