Seite - 448 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Birgit Peter
semitismus nicht durchgesetzt werden. Gegen seine unleugbare Bedeutung, die über
seinen Tod hinaus bestand, musste die nationalsozialistische Theaterwissenschaft vor-
gehen : „Wer die verhängnisvolle Rolle des Judentums im Wiener Geistesleben studie-
ren will, der muß gerade auch dieses Echo Sonnenthals hören […]“, schreibt Heinz
Kindermann 1939, Gründer des Wiener Instituts für Theaterwissenschaft 1943, in
Burgtheater. Erbe und Sendung eines Nationaltheaters. In seiner „rassenbiologischen“
Typisierung stuft er Sonnenthal als besonders gefährlich ein, da „es hier nicht um den
leichter erkennbaren Typ des zynischen [er meint den Burgschauspieler Dawison,
B. P.], sondern um den viel stärker getarnten des sentimentalen Juden geht“. Es
geht ihm darum, die Erinnerung – er benutzt das Bild eines Denkmals „in Über-
lebensgröße eingehämmert“ – an Sonnenthal auszulöschen. Ironischerweise nutzt er
als Instrument den Nekrolog von Felix Salten, den er – wie folgt – ausführlich zitiert :
„Dieser fürstliche Mann, dessen Seele ganz eingehüllt war in einen dunkelglühenden
Purpur, dessen Stimme eingehüllt war in königliche Purpurmäntel, dessen Gang und
Haltung umflossen war von Purpur. Dieser ganze Mensch war wie eingetaucht in
Prunk und Adel. Er kam aus einer klein-jüdischen Familie, kam aus der Schneider-
werkstatt, ohne andere Bildung und ohne anderes Wissen, als jenes was auf der Thea-
tergalerie erworben wird. Und er schien unseren Blicken wie eine Gestalt aus einem
mild-heroischen Zeitalter.“
Indem er Felix Salten in sprachlicher Manier der ns-Kampf-Rhetorik als jemanden
bezeichnet, der bloß vorgab, tonangebend zu sein, und noch dazu für die „die Wiener
Asphalt-Presse“ , schafft Kindermann den Kontext, um die unerwünschte Erinne-
rung an Sonnenthal demontieren zu können.
Die Synthese von fein und herb
„[…] und es gab ein tiefsinnig-geistreiches Gespräch über die Liebe. Ich weiß nicht mehr,
wie sich die anderen zu dem Thema geäußert haben, Gustav Pick, war es, der das große
Wort führte, und ich erinnere mich noch, wie er in einem pathetisch-sentimentalen, etwa
an Sonnenthal gemahnenden Ton bemerkte : ‚Wenn ich gewollt hätte, ich hätte Glück bei
Frauen haben können als ein Husarenleutnant.‘“
Heinz Kindermann, Das Burgtheater. Erbe und Sendung eines Nationaltheaters, Wien, Leipzig : Luser
1939.
Ebd., S. 100.
Ebd.
Ebd.
Schnitzler, Jugend in Wien, S. 237.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519