Seite - 451 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Imago und Vergessen 1
Mei Stolz is, i bin halt a echt’s Weanakind,
A Fiaker, wie man’ net alle Tag’ find’t,
Mei Bluat is so lüfti und leicht wia da Wind,
I bin halt a echt’s Weanakind ! “
1925 erscheint im Illustrierten Wiener Extrablatt eine Sonderbeilage zum Fiakerlied
– Gustav Picks Sohn Alfred erinnert sich dort an die Entstehungsgeschichte des Lieds
und bietet durchaus ambivalentes Material zu dessen Ruhm. Er beschreibt, wie kunst-
fertig sein Vater am Text, am Wiener Dialekt arbeitete : „Er arbeitete schwer und
fleißig, an dem Liede : 44 Blätter liegen vor mir, die angefüllt sind mit Entwürfen,
Skizzen, Reinschriften usw. der einzelnen Strophen. Da wurde an jedem Wort ge-
drechselt, gefeilt und herumprobiert, bis er das Richtige getroffen zu haben glaubte
und er fand keine Ruhe, ehe er zu einem Ziel gekommen war. Den Wiener Dialekt
beherrschte er zwar vollkommen, es beweisen dies viele andere seiner Lieder – aber er
hatte immer Angst, in bezug auf sachliche Details einen Fehler zu begehen.“
Gustav Pick recherchierte so genau, dass er beispielsweise die Zeit, wie lange ein
Fiaker „Vom Lamm zu Lusthaus“ brauche, überprüfen ließ. Genauso hatte Pick eine ex-
akte Vorstellung, wie dieses Lied Girardi interpretieren sollte. Der von ihm dargestellte
Fiaker musste ein älterer, erfahrener Alt-Wiener sein. Wie Alfred Pick berichtet, wollte
Girardi zuerst nicht das Lied interpretieren, zeigte sich jedoch später „glücklich, sein
Mißtrauen überwunden zu haben“. Trotz Wiener Dialekts wurde das Lied ein inter-
nationaler Erfolg : Dazu trug Girardis Interpretation sicher bei – er nahm es dann in
sein Repertoire auf und baute es in Engagements ein, u. a. sang er es auch erfolgreich in
Berlin. Es wurde ins Dänische, Englische und Tschechische übersetzt, gesungen wurde
es in Kopenhagen, London, Amsterdam, Venedig, deutschen Städten, sogar in Hono-
lulu : In Paris wurde es rezitiert unter dem Titel „Österreichischer Preisgesang beim
Wettfahren“. Adaptionen des Fiakerlieds waren das „Jüdische Fiakerlied“ von Carl Lo-
rens, eine kölnische Variante, ein „Berliner Droschkenkutscherlied“, ein „Benzinlied“,
ein „Sioux-Kriegslied“, ein „Zukunftsfiakerlied“, „Die Fiakerin“ u.v.m. Trotz dieses
Erfolges war der Schöpfer kaum bekannt. Alfed Pick charakterisiert seinen Vater als
äußerst bescheiden – so soll Gustav Pick es als „mein dummes, kleines Lied“ bezeichnet
haben –, doch scheint diese Begründung nicht auszureichen. Bei der Erstaufführung
Gustav Pick, „Fiakerlied“ (1. Strophe). Es sind vier Strophen abgedruckt, in : Sonderbeilage Illustriertes
Wiener Extrablatt, 24. Mai 1925, S. 18. In Jürgen Heins Wienerlied-Anthologie ist eine andere Version
enthalten – gezeichnet mit Gustav Pick und H. Dorner, G. Pick und K. Lakits, die erste Strophe beginnt
mit : „A echter Weana Fiaka / is stolz auf sei’n Stand /…“. Vgl.: Jürgen Hein (Hg.), Wienerlieder. Von
Raimund bis Georg Kreisler, Stuttgart 2002, S. 54f.
Pick, „Wann i mi so derinner…“, S. 18.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519