Seite - 453 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Imago und Vergessen
Diese zwischen Despektierlichkeit und Anerkennung schwankende Einschätzung
weist auf das dünne Eis hin, das die von Stefan Zweig formulierte Zeit der Sicherheit
für Juden in Wien bedeutete.
Es hat den Anschein, dass Antisemitismus in Wien, der sich um 1900 nicht na-
mentlich gegen Persönlichkeiten wie Sonnenthal und Pick richtete, als bedrohliche
Stimmung abzuzeichnen begann. Karl Lueger, dessen politischer Erfolg auf der anti-
semitischen Demagogie basierte, bestimmte ab den 1890er-Jahren die Politik der
Stadt Wien zuerst als Stadtrat, dann als Vizebürgermeister und schließlich Bürger-
meister. Zwar verweigerte Kaiser Franz Joseph seine Bestätigung als Bürgermeister,
musste allerdings nach der vierten Wahl innerhalb eines Jahres zustimmen.
Wolfgang Maderthaner weist nach, dass Lueger eine spezifische Stadtimago, ein
Wienbild konstruierte, auf dessen Basis er seine Politik entfalten konnte. Wie ein
Regisseur inszenierte er, so Maderthaner, „eine autoritäre Politik als Theater der Stim-
mungen und Ressentiments unter dem permanenten Rekurs auf das ‚Alte Wien‘, auf
ein spezifisches ‚Wienertum‘“ .
Diesen Rückgriff nutzte Lueger, um dieses konstruierte alte, echte Wien auf die
Realitäten der modernen Metropole Wien treffen zu lassen. „Er schuf ein Stadtimago,
das die verschiedenen kleinbürgerlichen und mittelständischen Segmente der Wiener
Gesellschaft einte. Er schuf Wien als ‚Vaterstadt‘ in Form einer imaginierten Gemein-
schaft der alten und der neuen Mittelschichten. Darin bündelte er eine Vorstellung
von Wien als Inbegriff einer vorindustriell-bürgerlichen, ständisch-familiären und
christlichen Stadt, beruhend auf Autorität, Paternalismus, Vätererbe und christlich-
katholischem Wertgefüge.“
Dass Sonnenthal mit den Zuschreibungen des „Aristokratischen“ in dieser Argu-
mentation ein einfaches Opfer des Antisemitismus wird, liegt auf der Hand. Sein
bereits erwähntes Engagement in der Wiener jüdischen Gemeinde und die ab den
1890er-Jahren verstärkte Auseinandersetzung mit Rollen wie dem Nathan und Shy-
lock müssen in diesem Kontext als Manifestation gegen den Antisemitismus gesehen
werden. Bei Pick ist es komplizierter, da sein Schaffen exakt in dem von Lueger „nur
für Christen“ vorgesehenen Feld der Beschwörung von „Alt-Wien“ liegt. Das Ver-
schweigen seines Namens als Schöpfer einer der eindringlichsten und erfolgreichsten
Alt-Wien-Kreationen würde der Komplexität dieses Faktums entsprechen.
Wolfgang Maderthaner, „,Dem Volke, was des Volkes ist‘. Das Stadtimago und die Stadtpolitik des Karl
Lueger“, in : Wolfgang Kos, Christian Rapp, Alt-Wien, S. 98–108.
Ebd., S. 106.
Ebd., S. 105.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519