Seite - 460 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Bild der Seite - 460 -
Text der Seite - 460 -
0 Birgit Peter
autor“ , schuf mit seinen oberflächlich betrachtet durchaus kulinarischen Gedichten
Momentaufnahmen Österreichs, Wiener (niederösterreichischer) Alltagsmenschen
und damit Alltagsatmosphäre. Sein Lyrikband Wien 1938. Die grünen Kader, eine
Sammlung von Gedichten, verfasst ab März 1938, hält auf eindrucksvolle Weise fest,
was das plötzliche Ausgestoßensein aus dem Vertrauten, das Abgeschnittensein von
dem, was das Eigene war, bedeutet. „[…] Ich lieg gewickelt wie in dumpfen Loden/
und müh mich sehr, die Bilder einer Welt/vor die verklebten Augen mir zu zwingen,
in der ich sicher lebte manches Jahr […].“ Die Sicherheit ist die Grundkonstante,
die auch Stefan Zweig für die Welt von gestern hervorstreicht, die auch trotz des Ersten
Weltkriegs, trotz der politischen Kämpfe in der Ersten Republik als Atmosphärisches
letztlich in der Erinnerung noch vorhanden schien.
Sich wieder diese Bilder einer Welt vor Augen zu führen funktioniert in der Anru-
fung von Geruch, Geschmack und Farben. Es sind die essenziellsten Mittel, verschüt-
tete Erinnerungen wieder wachzurufen. Es sind vor allem atmosphärische Elemente,
die die Beiträge von Sonnenthal, Pick, Leopoldi und auch Richter auszeichnen. Ihre
Beiträge zur Wienimago sind Teil eines Vermögens, den eigenen Ort, den Sehnsuchts-
ort Heimat, 9 zu kreieren.
Jean Améry schreibt, „Heimat ist Sicherheit, sage ich. In der Heimat beherrschen
wir souverän die Dialektik von Kennen-Erkennen, von Trauen-Vertrauen.“90 In den
Erinnerungen von Arthur Schnitzler, Stefan Zweig, Hilde Spiel – um nur einige zu
nennen – wird eben dieses Vertraute aus den Kinder- und Jugendtagen beschrieben,
beschworen, ein spezifisches Wienbild nochmals in Erinnerung gerufen.
Aus der Erfahrung der Shoah analysiert Jean Améry dieses Vertraute als durchaus
„unheimliches“ Heimatgefühl : „Was für unerwünschte Anklänge weht es doch her-
bei ! Märchenerzählungen einer alten Kinderfrau, das Gesicht der Mutter überm Bett,
Fliederduft aus dem Nachbarsgarten. […] Man möchte die peinlich lieblichen Töne,
die sich mit dem Wort Heimat assoziieren und die recht ungute Vorstellungsreihen
heranführen von Heimatkunst, Heimatdichtung, Heimat-Alberei jeder Art, gerne
Daniela Strigl : „Wo niemand zuhaus ist, dort bin ich zuhaus“. Theodor Kramer – Heimatdichter und Sozial-
demokrat zwischen den Fronten, Wien 1993.
Theodor Kramer, Der Braten resch, der Rotwein herb. Von den nötigen Trünken des Markthelfers, hg. von
Erwin Chvojka. Wien, Zürich 1988.
Theodor Kramer, „Nach dem Umzug“, in : Theodor Kramer, Wien 1938/Die grünen Kader. Gedichte,
Wien 1946, S. 10.
Zum Begriff Heimat siehe : Joachim Riedl, „Heimat ! Welche Heimat ? Über den Umgang mit einem
schwierigen Begriff“, in : Heimat. Auf der Suche nach der verlorenen Identität, Joachim Riedl (Hg.), Wien
1995, S. 7–11.
0 Jean Améry, „Wieviel Heimat braucht der Mensch ?“, in : Heimat. Auf der Suche nach der verlorenen Iden-
tität, S. 12–14, S. 13.
zurück zum
Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519