Seite - 472 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Werner Hanak
Sali Breier den Funken einer Hoffnung. Der erste Akt ist zu Ende, und zur Überra-
schung des Publikums betritt nun der Regisseur die Bühne und verkündet :
„Meine Damen und Herren ! Die Darstellerin der Sali Breier ist von ihrem auswärtigen
Gastspiel noch nicht in Wien eingetroffen. Die Rolle der Frau Sali Breier hat daher in
letzter Minute aus besonderer Gefälligkeit Frau Maria Kratochwil vom Stadttheater Leito-
mischl übernommen. Frau Kratochwil hat sich bereit erklärt, die Rolle zu lesen und bittet
um freundliche Nachsicht. (Regisseur verneigt sich und geht ab. Unruhe im Publikum. Der
Regisseur dreht sich um und tritt nochmals vor.)
Verehrte Damen und Herren, aus den Zurufen glaube ich entnehmen zu müssen, dass
Sie mir nicht glauben. Frau Gisela Werbezirk ist aber tatsächlich durch einen Reiseunfall
verhindert, rechtzeitig in Wien einzutreffen. Sie ist in Kagran verschoben und an einen
Güterzug angekoppelt worden. Frau Kratochwil vom Städtischen Theater – – – (gesteigerte
Unruhe im Publikum – Regisseur spricht weiter) Gut – wenn Sie mir nicht glauben wollen,
dann werde ich Ihnen zeigen und Ihnen augenscheinlich beweisen, welche Art die Gründe
und Ursachen waren, die unsere Hauptdarstellerin verhinderten, rechtzeitig in Wien einzu-
treffen. (Er verneigt sich, und in diesem Augenblick beginnt der Film.)“
Dieser zeigt Sali Breier im Zug von Gaya nach Wien. Sie schläft ein, und erst am Wie-
ner Nordbahnhof bemerkt sie das Fehlen eines Koffers. Sie alarmiert alle Wachleute,
stellt Passanten, lässt Koffer öffnen, bis sie ihren wieder hat. Mit einem wachsamen
Auge geht sie nun vom Nordbahnhof in die Praterstraße hinunter. Im Bühnenskript
heißt es : „Endlich steht sie vor der Rolandbühne. Sie sieht sich um, ob sie hier recht
ist, dann ruft sie den Portier. Sie will hinein. Er verwehrt ihr den Eintritt.“ Die Lein-
wand geht hoch und die Bühne ist leer, darauf Sali, mit zwei Billeteuren streitend :
„Mir wollen Sie erzählen, wo ich hingehör ? Ich brauch ka Karten ! Mein Gesicht is
mei Karten.“
Die in die Bühnenhandlung eingebaute Filmszene und der fast übergangslose Auf-
tritt der Sali Breier, die gerade noch auf der Leinwand vom Praterstern bis zur Ro-
landbühne heruntermarschiert war und nun plötzlich „leibhaftig“ im Theaterraum er-
scheint und sich dort mit den Billetteuren streitet, die ihr als „Landpomeranzen“ den
Eintritt verwehren wollen, deuten auf eine große Könnerschaft der Autoren Armin
Friedmann und Alfred Deutsch-German sowie des Regisseurs Karl Farkas hin. Diese
Leistung dieses Boulevardtheaters, die aus dem finanziellen Druck der Theaterkrise
und einem kreativen Umgang im Kampf gegen das insbesondere in der Inflationszeit
Ebd., S. 39.
Ebd., S. 41f.
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519