Seite - 488 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Peter Dusek
Man kann also behaupten, Erich Korngold wurde Filmkomponist aufgrund der
politischen Ereignisse in Mitteleuropa. Obwohl er über zwanzig Filme mit Musik
„anreicherte“, betrachtete er diese Phase seines Lebens stets nur als Notlösung. Erst
als der Krieg sich dem Ende zuneigte, begann er wieder an seinen Orchesterwerken,
speziell seinem Violinkonzert, zu arbeiten. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
weigerte er sich endgültig, als Filmkomponist weiter zu arbeiten. Die einzige Aus-
nahme war magic Fire (Frauen um richarD Wagner, usa 1955, R : Wilhelm
Dieterle), wo er Wagner-Musik zu Kürzestversionen zusammenziehen musste.
Auch das dritte Beispiel eines österreichischen Hollywood-Komponisten beginnt
mit einer Jugend in Wien. Walter Jurmann entstammt einer jüdischen, gutbürger-
lichen Familie mit galizischen Wurzeln. Er wurde am 12. Oktober 1903 im zweiten
Wiener Gemeindebezirk geboren und kam eher durch Zufall zur Musik. Während
eines Heilaufenthaltes auf dem Semmering sprang er angeblich für den Barpianisten
ein und wurde für die leichte Muse entdeckt.
Walter Jurmann wollte Arzt werden und dürfte wegen einer Brustfellentzündung
Kurgast am Semmering gewesen sein. Seine Mutter ist jedenfalls in den offiziellen
Übernachtungslisten des Jahres 1924 neben vielen anderen Prominenten wie Adele
Strauß, Sigmund Freud, Robert Stolz, Franz Schalk – der Staatsoperndirektor – oder
Anton Wildgans zu finden. Sie alle waren am Semmering dann und wann in der Bar
des Hotel Panhans, das etwas von der Zauberberg-Atmosphäre aus dem Roman von
Thomas Mann vermittelte. Walter Jurmann wird im Jahr 1924 nicht mehr als Kur-
gast geführt. Die Biografin des österreichischen Komponisten, Elisabeth Buxbaum,
schreibt über diesen Umstand : „Das Rätsel um Walter Jurmanns Aufenthalt können
wir heute nur mithilfe eines Briefes lösen. Rund 60 Jahre später schreibt ein gebür-
tiger Wiener, der als Kind zu Weihnachten einen Urlaub am Semmering verbracht
hatte : ,Ich erinnere mich noch genau an Jurmanns Gesicht, wenn er Klavier spielend
die Gäste beobachtete. Seine Mutter war mit meiner Großmutter gut befreundet, wir
alle lauschten seinem Spiel und Jurmanns Mutter war natürlich sehr stolz auf ihren
begabten Sohn.‘ (Brief von George Porges vom 23. März 1985, Archiv Yvonne Jur-
mann.) Nun wird auch verständlich, warum Walter Jurmann nicht in den Kurlisten
als Gast geführt wurde, sein Aufenthalt am Semmering bedeutete für ihn nämlich
Arbeit, er war als Pianist engagiert ! Ein anderer war aber ebenso im Jahr 1924 am
Semmering, nämlich Richard Strauss. Es mag sich also durchaus zugetragen haben,
dass der Pianist des ,Südbahnhotels Semmering‘ durch Krankheit verhindert war und
Walter Jurmann ,einsprang‘. Er könnte aber auch eines Abends zum großen, wunder-
bar beleuchteten ,Palasthotel‘ spaziert sein, könnte sich in der Bar ans Klavier gesetzt
und in seiner unnachahmlichen Art improvisiert haben. Vielleicht hat sich Richard
Strauss – hellhörig geworden – zum Klavier begeben und es könnten die entschei-
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Buch Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus"
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519