Seite - 85 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
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»Altslovenisch«
Christentum unterwiesen. Es ist nicht anzunehmen,
dass er Slowenisch konnte. Hinter damals modischen
germanisch-alemannischen Personennamen können
sich manchmal Ladiner verbergen, nie umgekehrt Bai-
ern oder Alemannen hinter ladinischen. Das Verhältnis
zwischen Ladinern (→ Walchen) und Baiern dürfte
nicht unproblematisch gewesen sein, wie aus den zwei-
sprachigen Kasseler Glossen (um 800) hervorgeht :
Stulti sunt romani, sapienti sunt paioari. Tole sint uualha,
spahe sint peigira (Blöd sind die Ladiner, gescheit sind
die Baiern).
Zahlreiche Wörter der slowenischen Kirchen- bzw.
→
Liturgiesprache Karantaniens sind altladinisch
(→ Terminologie, christliche), was eindeutig die noch
lebendige Dominanz des A. im Klerus zeigt : nedel/
nedela »Sonntag« (< dies natalis), binkošti »Pfingsten«
(< pentecosta), oltar »der Altar« (< altare), koštel »Kir-
che« (< castellum), raj »Paradies« (< radius), glagolati
»reden« (< keltisch cloc/klok über ladinisch clocul/glogul
»Glockenschwengel, der die Glocke zum ›sprechen‹
bringt«, → Freisinger Denkmäler. Germanen, Römer
und Slawen kannten keine Glocken) oder die Hei-
ligennamen mit šent (< sanctus/šent) wie šent Maria,
šent Peter, šent Laurenc. Zahlreich sind ladinische Wör-
ter noch heute im Bairischen. Schließlich ist Bairisch
(→ Altbairisch) eine Mischsprache aus Ladinisch und
Alemannisch. Von allen oberdeutschen Dialekten hat
Bairisch den höchsten Anteil ladinischer Wörter.
Sprachliche Besonderheiten der Phonetik des baiva-
rischen und karantanischen A. sind besonders deutlich
in der Orthografie der offenbar von einem Ladiner ge-
schriebenen → Freisinger Denkmäler erkennbar : die
Verwechslung stimmloser und stimmhafter Konsonan-
ten (noch heute im Bairischen kein phonematischer
Unterschied) p/b (potomu/botomu »weil«, izpovedat/iz-
bovedati »beichten«, wie pagus/bagivari > Baiern, pirum/
bera > Birne) ; t/d (Personennamen Otilo/Odilo, Lati-
nus/Ladino) ; k/g (Ortsname campus/gampu > Gam-
pern) ; s wird š (= sch) gesprochen : miša »Messe«, krišt
»Christus«, šent »heilig«, der Ortsname Irsching (Ursin
> Üršin) ; u als ü : križ »Kreuz« (< krüš), mir »Mauer«
(< mür) in Ortsnamen Mir (Mirišče/dt. Mairist), mita
»Maut« (müta < lat. mutare »die Gebühr beim Pferde-
wechsel«, literaturüblich aus dem Gotischen) ; ti/te als
ts (= z, literaturüblich oberdeutsche/althochdeutsche Laut-
verschiebung) in Ortsnamen Pfunzen (< pons/pontem/
ponz oder < fons/fontem/fonz), Pitzen (< puteus/püz),
in Personennamen Carantianus/Coranzan. Wissen-
schaftsgeschichtlich ist die Existenz des A. in der Ger- manistik und Slowenistik lange nicht wahrgenommen
worden. Die ideologische → »Entethnisierung« der
Ladiner und des A. in der Germanistik erfolgt meist
durch Ableitungen aus dem Lateinischen, Mittellateini-
schen oder Romanischen. Literaturüblich »entladinisie-
rungsfördernd« ist die Ableitung des Ortsnamensuffi-
xes ing aus dem germanischen Althochdeutschen plus
Verbindung mit einem »althochdeutschen Personenna-
men«, und die Erklärung der Walchen-Namen als »Ort
der Lodenwalker«. Der Germanist →
Kranzmayer
behauptet wider alle Fakten : Östlich der Linie Salz-
burg/Villach gibt es nichts Romanisches.
Lit.: K. Forstner : Das Verbrüderungsbuch von St. Peter in Salzburg.
Graz 1974 ; O. Kronsteiner : Salzburg und die Slawen. Mythen und
Tatsachen über die Entstehung der ältesten slawischen Schriftsprache. Die
Slawischen Sprachen 2 (1982) 27–51 ; O. Kronsteiner : »Alpenroma-
nisch« aus slawistischer Sicht. In : Das Romanische in den Ostalpen. Hg.
D. Messner. ÖAW Philosophisch-Historische Klasse. SB 442. Wien
1984, 73–93 ; H. Goebl : Sprachatlas des Dolomitenladinischen und an-
grenzender Dialekte (ALD). Wiesbaden (Teil I) 1985–1998, (Teil II)
1999–2012 ; W. Mayerthaler : Über einige bemerkenswerte argumenta-
tive Muster der germanischen Philologie zur bairischen Namenkunde. In :
Österreichische Namenforschung 1 (1985) 31–79 ; P. Pleyel : Das römische
Österreich. Wien 1987 ; O. Kronsteiner : Ladinisch, das Romanisch des
Alpenraums. In : Nichts als Namen. Ljubljana 2003, 99–107.
Otto Kronsteiner
»Altslovenisch«, slow. staroslovansko, ursprünglich ein
linguistisch-historischer, nunmehr in dieser Bedeutung
nicht mehr verwendeter Terminus für den heute lite-
raturüblich verwendeten Begriff des → Altkirchensla-
wischen, slow. starocerkvenoslovansko (→
Glottonyme/
Sprachnamen, → Terminologie).
Diesen Terminus definierte Franz → Miklosich in
seiner Altslovenischen Formenlehre in Paradigmen (Wien
1874) in der er insbesondere ausdrücklich darauf hin-
wies, dass der Begriff »altslovenisch« (sic !) keinen Be-
zug zur (neu)slowenischen Sprache habe (Dies gehört
zu Miklosichs innovativen Ansätzen zur Weiterent-
wicklung der sog. → pannonischen Theorie von Bar-
tholomäus → Kopitar). Er wurde damals in dieser
Bedeutung allgemein verwendet, ebenso von Miklo-
sichs kroatischem Studenten und Nachfolger Vatros-
lav Jagić, der sich explizit mit dem Terminus in seiner
Definition einverstanden erklärte und der seine Vorle-
sungen zum Altkirchenslawischen bis zum Sommer-
semester 1901 mit »Altslovenisch« angekündigt hatte.
Lediglich der Indogermanist und Slawist August Le-
skien, der das Altkirchenslawische aufgrund der emi-
nenten Bedeutung von → Methods Bibelübersetzung
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 1: A – I
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 542
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55