Seite - 95 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
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»Anschluss« und die Kärntner Slowenen
Um diesen Prozess zu verhindern oder zumindest
aufzuschieben, sicherten die Vertreter der Kärntner
Slowenen, Dr. Joško → Tischler für die → Slovenska
prosvetna zveza [Slowenischer Kulturverband] und
Dr. France →
Petek, – auch auf den Rat aus → Ju-
goslawien hin – dem neuen Staat die Loyalität zu, was
sie auch durch ihren Besuch beim Landeshauptmann
Pawlowski zum Ausdruck brachten, und forderten
die Angehörigen der Volksgruppe auf, bei der Volks-
abstimmung am 10. April 1938 für den Anschluss
zu stimmen. Die Volksgruppe leistete diesem Aufruf
Folge und stimmte in einigen Gemeinden, die dann
zu »Führergemeinden« proklamiert wurden, fast hun-
dertprozentig für den Anschluss. Darauf beriefen sich
die Volksgruppenvertreter später stets, wenn die Natio-
nalsozialisten offen die Loyalität der Volksgruppe zum
Reich infrage stellten. Bei slowenischen Versammlun-
gen und in der Wochenzeitschrift → Koroški Slovenec
kritisierten Vertreter der Kärntner Slowenen jedoch die
NS-Unterdrückung offen und zum Teil sehr gewagt.
Die Nationalsozialisten schränkten die Arbeit der slo-
wenischen Kultur- und Wirtschaftsorganisationen
drastisch ein.
Im Mai 1940 wurde die → Mohorjeva aufgelöst, die
anderen slowenischen Organisationen fristeten ihr Da-
sein mehr recht als schlecht bis zum Überfall Hitler-
deutschlands auf Jugoslawien. Die Nationalsozialisten
hatten ab diesem Zeitpunkt freie Hand in ihrer Po-
litik gegenüber den Kärntner Slowenen. Das Vermö-
gen der slowenischen Vereine wurde beschlagnahmt
oder vernichtet. Bischof Adam → Hefter begrüßte
Hitler bei seiner Ankunft in Klagenfurt/Celovec.
Trotzdem musste er den Forderungen nach einer Ver-
setzung des Großteils der slowenischen Priester, die
zuvor aus verschiedenen, willkürlichen Gründen fest-
genommen worden waren, nachgeben (→ Verfolgung
slowenischer Priester ab 1938 in Kärnten/Koroška).
Weit über 60 slowenische Priester waren während der
NS-Herrschaft schon von allem Anfang Schikanen
ausgesetzt. Zusammen mit einigen Theologiestudenten,
die zwangsweise mobilisiert wurden, waren es genau 70.
Im Sommer 1938 richteten die Nationalsozialisten an
die 60 Kindergärten ein, um die Landkinder schnell
einzudeutschen, und im Herbst desselben Jahres
schafften sie den Slowenischunterricht an allen 67 ut-
raquistischen (zweisprachigen) Schulen, die von mehr
als 10.000 Kindern besucht wurden, ab. Zu Beginn des
Zweiten Weltkrieges, am 1. September 1939, kam es zu
einer Welle von Verhaftungen und Verboten. Nur aus außenpolitischen Gründen wurde die »Endlösung« der
Minderheitenfrage in Kärnten/Koroška noch vermie-
den, denn das NS-Regime versuchte Jugoslawien zum
Beitritt zum Dreierpakt zu bewegen.
Die NS-Behörden in Kärnten/Koroška bewilligten,
nachdem Jugoslawien der Erneuerung des Schwäbisch-
Deutschen Kulturbundes zugestimmt hatte, die Wie-
derherstellung der Slovenska prosvetna zveza [Sloweni-
scher Kulturverband] und anerkannten seinen Status
als Minderheitendachverband. Unmittelbar vor dem
Angriff auf Jugoslawien und unmittelbar danach be-
gann der Pogrom gegen die Kärntner Slowenen, der im
April 1942 durch die → Deportation nach Deutsch-
land – es wurden 917 Personen deportiert – seinen
Höhepunkt erreichte. Es wurden vor allem jene ver-
trieben, die vor der NS-Herrschaft im politischen und
kulturellen Leben der → Minderheit eine bedeutende
Rolle gespielt hatten. Der Generalsekretär des KHB,
Alois Maier-Kaibitsch, kündigte am 10. Juli 1942
die endgültige Austilgung der Minderheit an : »Die
Windischen, welche sich zur deutschen Volkszugehö-
rigkeit bekannt haben, sind eben Deutsche und für die
Slowenen kann hier kein Platz mehr sein.« Wegen des
direkten Interesses des NS-Regimes, das sich mit den
Plänen über die Deportation – euphemistisch Aussied-
lung genannt – aller Kärntner Slowenen und über die
Ansiedlung der Kanaltaler und Südtiroler Deutschen
befasste (nach der Vertreibung von 917 Slowenen im
April 1942 begann man, diese auch tatsächlich auf den
verlassenen Gehöften anzusiedeln), wurden bei der
NS-Volkszählung (→ Sprachenzählung) im Jahre 1939
mehr Personen mit slowenischer → Muttersprache ge-
zählt als bei den vorangegangenen Zählungen, nämlich
44.708. Diese Zahl kam durch die Verwendung der Ka-
tegorie → »Windisch« in verschiedenen Kombinatio-
nen mit Slowenisch und Deutsch zustande. Schließlich
wurden die Zahlen aus verschiedenen Kombinationen
subsummiert, was darauf hinweist, dass das NS-Regime
im Falle der Verwirklichung seiner geplanten → ethni-
schen Säuberung alle vertrieben hätte – auch jene, die
es für Windische hielt und die die deutschen Nationa-
listen (jetzt größtenteils Nationalsozialisten) vorher für
sich vereinnahmt und als Mittel für die Schmälerung
der Rechte der Kärntner Slowenen missbraucht hatten.
Die Nationalsozialisten bezogen so wie in der Go-
renjska (Oberkrain) und der slowenischen Štajerska
(Untersteiermark) auch Kärnten/Koroška in den so-
genannten → »Generalplan Ost« ein, der in der ers-
ten Jahreshälfte 1942 im Auftrag Himmlers von
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 1: A – I
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 542
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55