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Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
Seite - 119 -
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Seite - 119 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I

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119 Assimilation nerseits die »Kinder […] benutzt [werden], um sich der Gültigkeit der alten Ideale und Identifizierungen zu ver- sichern«, andererseits machte die »frühkindliche Loyali- tätsbindung […] die Kinder in vielen Fällen unbewusst zu Komplizen der Eltern« (Bohleber). Die »Gültigkeit der alten Ideale« ist in unserem Fall die Legitimität der Selbstverneinung durch A. Für Bohleber (1998) »wird in der Verklammerung der Generationen [ganz allgemein] das Erbe der vo- rausgehenden von den folgenden aufgenommen und bearbeitet«. Bei sog. »man-made-disasters« wirken diese noch in den Generationen danach, so dass wir ge- zwungen sind, »uns noch in den Generationen danach mit den traumatischen Auswirkungen und den unter- gründig fortwirkenden Identifizierungen auseinander- zusetzen«. Weiters unterstreicht Bohleber, dass »[k] ollektive Traumatisierungen nun besondere Generati- onenkonflikte und Formen der Identifizierung in der Aufeinanderfolge der Generationen [erzeugen]. […] Das Extreme Trauma [wird] von den Kindern in der Phantasie identifikatorisch übernommen.« Die gewalt- same Zerstörung eines Teils der eigenen Persönlichkeit durch die aggressive Verneinung der eigenen Mutter- sprache und Geschichte ist ebenso ein traumatisches »man-made-disaster«, das einen Teil des aggressiven minderheitenfeindlichen Diskurses nachfolgender Ge- nerationen mit erklärt. Kestenberg (1989) spricht dabei von »Transposi- tion«, weil diese Identifizierung auch eine Identifizie- rung mit der Geschichte umfasst, Faimberg (1987) identifiziert diese unbewusste Identifizierung als ein Ineinanderrücken von drei Generationen (téléscopage, Telescoping). Nach Bohleber (1998) brauchen zudem die Eltern/Opfer ihre Kinder gleichsam, um das »uner- trägliche Übermaß an Trauer und Aggression projektiv zu entlasten. Unbewusst wird vom Kind erwartet, dass es die affektiv belasteten Traumata ungeschehen macht, die die seelische Struktur der Eltern zerstört haben.« Und dies gilt für die Slowenen und Opfer ebenso wie für die, die den Weg der A. beschritten und sich so ei- nem identitären Gewaltakt unterwarfen, den sie wiede- rum in irgendeiner Weise integrieren mussten. In beiden von Mitzman und Bohleber oben be- schriebenen Varianten finden sich also konvergierende Erklärungsmodelle für die emotionale Intensität, In- transigenz und menschenrechtsverachtende Intole- ranz gegenüber den nicht assimilierten Slowenen, in- dividuell seitens jener ersten Generationen nach dem traumatischen Identitäts- bzw. →  Sprachwechsel bzw. kollektiv seitens der politischen Eliten nach dem kol- lektiven Identitätswechsel in weiteren Landstrichen →  Südkärntens/Južna Koroška (vgl. auch Grünberg 2002, Bohlber 2009, Zöchmeister 2010). Mit dem in →  Sprachenzählungen statistisch nach- vollziehbaren rasanten »unnatürlichen« →  Sprach- wechsel von Familien, Orten und →  Kulturlandschaf- ten ist von einer steigenden Anzahl von Menschen auszugehen, die dem seelischen Druck der mit gesell- schaftlichem Zwang verbundenen A. nicht standhal- ten konnten, da sie ihrer emotional besetzten Mutter- sprache entsagt hatten. Folglich musste gleichsam die kollektive Dynamik der gesellschaftlichen Intoleranz gegenüber dem Slowenischen steigen, was in diversen verfassungswidrigen obrigkeitlichen politischen Ma- nifestationen offensichtlich wird (Schulstreik, Ortsta- felsturm, Dreiparteienpakt etc. – die »Traumata per- petuierenden Sequenzen« nach Wutti). Fasst man zwanghafte (kollektive) A. als Verbrechen an der eige- nen Seele auf, so ist die psychoanalytische Feststellung von Bohleber (1998) pertinent und per Analogie anwendbar, wonach »bei Patienten der zweiten Gene- ration, deren Eltern in die Nazi-Verbrechen verwickelt waren, stets die Gefahr [besteht], dass die Vergangen- heit derealisiert [bzw. bagatellisiert oder abgespaltet] wird«. Gerade der gesellschaftliche und wissenschaft- liche Diskurs, wonach das Slowenische in Kärnten/ Koroška oftmals als Zufallserscheinung einer historisch weit zurückreichenden Vergangenheit zugeschrieben und die →  Zweisprachigkeit eines vormals einsprachig slowenischen Gebietes suggeriert wird und der massive Sprachwechsel nicht in jüngster Vergangenheit statt- gefunden habe (Grafenauer 1984), kann mit Boh- lebers Konzept der Derealisierung des gewaltsamen Sprachwechsels durchaus verglichen bzw. erklärt wer- den. In der →  Geschichtsschreibung entspräche das einem Verschweigen bzw. einer →  »Entethnisierung« der slowenischen →  Kulturgeschichte oder der Hyper- manifestation einer neuen territorialen →  Identität. Die nachhaltige Wirkung der transgenerationellen Traumatisierung ergibt sich auch insbesondere daraus, dass unter den Überlebenden des Krieges zahlreiche Angehörige jüngerer Generationen und Kinder waren, die nie eine Phase gesellschaftlicher Normalität be- wusst oder rationell erlebt hatten, an die sie in ihrem weiteren Leben wieder hätten anknüpfen können, um die Traumata zu relativieren, zu integrieren und um zu einer Normalität »zurückzukehren«, die sie nie gekannt hatten. Zudem wurden diese jungen Generationen erst
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Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Untertitel
Von den Anfängen bis 1942
Band
1: A – I
Autoren
Katja Sturm-Schnabl
Bojan-Ilija Schnabl
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2016
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC 3.0
ISBN
978-3-205-79673-2
Abmessungen
24.0 x 28.0 cm
Seiten
542
Kategorien
Geographie, Land und Leute
Kunst und Kultur

Inhaltsverzeichnis

  1. Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
  2. Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
  3. Geleitwort von Johannes Koder 9
  4. Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
  5. Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
  6. Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
  7. Verzeichnis der Siglen 40
  8. Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
  9. Editoriale Hinweise 51
  10. Lemmata Band 1 A – I 55
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