Seite - 135 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
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Bagoaria
Baivari/Baiern, analog im Dialekt Boarn und boarisch.
Im Romanischen ergibt agi > a, daher ladinisch Ba-
varia, italienisch Bavaria/bavarese, französisch Bavière/
bavarois. Die popularisierte Aussprache mit ju (Baju-
waren) ist eine Erfindung der »Wissenschaft« des 19.
Jh.s. Aus Bajuwaren würden phonetisch auch keine
Baiern/Boarn. Das Rechtsdenkmal der angesehenen
»Monumenta Germaniae historica«, literaturüblich lex
Bajuvariorum, müsste korrekt lex Baivariorum heißen.
Auch Ludwig »der Deutsche« († 876), ebenfalls ein
Zusatz der Historiker des 19. Jh.s, nannte sich rex Bai-
variorum, nicht ›Bajuvariorum‹.
Vermutlich ist der Name der Anwohner des pa-
gus Ivari, der Pagivarii/Baivari »Salzachgauer«, für
→
Salzburg/Ivavum als neues aufstrebendes Zent-
rum nach der alten, bedeutungslos gewordenen Pro-
vinzhauptstadt von Noricum ripense Wels/Ovilavis so
wichtig geworden, dass man ihn für eine neue Identität
popularisieren und fördern wollte. Der Name Noricum/
Norici verschwindet völlig aus der Literatur. Die Gau-
bezeichnung war daher schon für »Größeres« besetzt.
Der geographus bavarus erwähnt noch um 800 in seiner
descriptio civitatum, dass sich die Baiern ursprünglich
nach einem Fluss a fluvio benennen. Das Bewusstsein
dieser Etymologie war noch lebendig. Groß-Salzburg,
das im Westen bis zum Chiemgau und Inn reichte, war
wegen seines Reichtums an Salz (ad salinas) angesehen
und daher einflussreich. Sein Bischof wurde nicht zu-
letzt wegen seiner wirtschaftlichen Potenz 798 Erzbi-
schof (mit mehreren nachgeordneten Suffragan-Bistü-
mern : Freising, Passau, Regensburg, Neuburg, Säben ;
Chorbistümern : → Maria Saal/Gospa Sveta [→ Mo-
destus], und eigenen Bistümern : →
Gurk/Krka 1072,
Chiemsee 1215, → Seckau 1218, → Lavant 1228) und
schließlich primas Germaniae.
Die Vita Severini (511) kennt noch keine Baiern, nur
Romani und Alamanni. 551 erwähnt Jordanes in seiner
Gotengeschichte (de origine actibusque Getarum) östlich
der Schwaben die regio illa Suavorum ab oriente Baioras
habet (die Region der Schwaben hat vom Osten her die
Baiern). 576 schreibt Venantius Fortunatus in sei-
nem Reisebericht erstmals von Baivaria in der Nähe des
Inns und dem Baivarius (neq te baiouarius obstat, sofern
sich dir kein Baivarier entgegenstellt). Es gibt für Bai-
ern/Bayern mehrere Deutungen, die phonetisch, mor-
phologisch und sachlich unwahrscheinlich sind. Lite-
raturüblich bringt man die Baiern mit den »keltischen«
Boii und dem römischen Ortsnamen Boiodurum/Boiotro
(heute Beiderwies/Passau) in Beziehung. Die Ableitung von einem nicht belegten *baja/warioz »die Männer aus
Boiohaemum/Böhmen« gilt in der Germanistik als opi-
nio communis. Das erfordert allerdings zu den angeblich
in Bayern schon anwesenden Franken und Alemannen
Einwanderung (»Völkerwanderung«) durch den gro-
ßen Urwald (Böhmerwald, nach 1945 auch Bayerischer
Wald, tschechisch Šumava), wobei die lange Existenz
des Romanischen (→
Altladinisch) in Zentral-Baiern,
im Großraum Salzburg beiderseits von Inn und Salzach,
und das Fortleben zahlreicher alteuropäischer Toponyme
und Hydronyme nicht erklärbar ist. Eine eigene Frage
bleibt die Baivarisierung Österreichs. Am wahrschein-
lichsten erweist sich eben ein im Lateinischen und Alt-
ladinischen üblicher Gauname mit pagus (in pago Ivari).
Es ist bis ins Mittelalter weltweit üblich, Menschen nach
Flüssen oder Seen zu benennen. Schon Tacitus erwähnt
die Benennungsart mit pagi, Caesar bei den rätischen
Schweizern. Die Kelten benannten Flussanwohner mit
ambe »Fluss«, was von den Römern in latinisierter Form
übernommen wurde als Ambilici (Flussname Licus :
Lechtaler, Gailtaler/Ziljani), Ambidravi (Dravus : Drau-
taler), Ambisonti (Isontius : Pinzgauer, nach dem Oberlauf
der Salzach), Ambivari (Ivarus : in Belgien). Im Alpen-
raum ersetzten die Römer ambi später durch lateinisch
pagus. Im → Altbairischen entstand die Zwitterform ge/
aua = Gau (aus alemannisch ge- und ladinisch aua »Was-
ser«) : Ammergau, Rottgau, Chiemgau, Mattiggau, At-
tergau, Traungau. In der lateinischen Urkundensprache
hieß es : in pago Rotagaoe, in pago Matagaoe, in pago Atra-
gaoe, in pago Chimingaoe (→ Chiemsee).
Auffällig ist, dass es zwar einen Salzburggau (in
pago Salzburchgaoe, → Salzburg) gab, aber keinen, der
offiziell nach der Salzach/Ivarus oder dem Inn/Aenus
benannt wäre. Die Salzach/Ivarus, nicht der Inn/Aenus,
ist auf der → tabula Peutingeriana als wichtigster Fluss
(ladinisch Ivaro) eingezeichnet, der im Gegensatz zur
heutigen Salzach bis zur Mündung in Passau so gehei-
ßen hat. Ivarus/Ivaro ist, wie der »iberische« Ebro/Iva-
rus, in zahlreichen Flussnamen bis zum Ibar im Kosovo
ein alteuropäisches Hydronym, verwandt mit baskisch
ibar »der Fluss, das Flusstal« und lat. ebrius »betrunken«.
Wenn der → dux Carantanorum die Baivari wegen
andauernder politischer Unruhen (→ carmula) um
Schutz gegen die Huni (→ Awaren) bittet, meint er
nicht die »heutigen« Bayern, sondern die Salzachgauer/
Baivari mit dem Zentrum Salzburg, mit dem dux oder
rex Baivariorum und ihrem Bischof. Die Baivari haben
strategisch geholfen, die Carantania zu stabilisieren,
und damit von sich abhängig gemacht.
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 1: A – I
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 542
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55