Seite - 200 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
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Carantani
870, → Conversio), dt. die Karantaner, alternativ die Ka-
rantanen, slow. Karantanci.
Sprachlich leiten sich die C. von der Region/dem
Staat Carantania mit dem häufig vorkommenden alt-
europäischen Toponym carn- »Stein, Fels« oder dem
Namen des administrativen Zentrums und Sitzes der
karantanerslowenischen Fürsten (→ Duces Carantano-
rum) ab. Nach Auflösung der römischen Verwaltung
und infolge der politischen Bedeutungslosigkeit von
Virunum/Viruno, Hauptstadt der alten Provinz Noricum
mediterraneum, wird → Karnburg/Krnski grad (curtis
carantana) in der gleichen Gegend »Hauptstadt« von
Carantania/→ Karantanien. Der alte Name Noricum
und Norici kommt außer Gebrauch. → Salzburg hat
offenbar den neuen Terminus C. gefördert, ebenso
wie Baivari statt Norici. In der → Conversio wird aus-
drücklich hervorgehoben, dass die C. Slawen/Slowe-
nen (Sclavi qui dicuntur Quarantani) sind. Die Kiewer
Nestorchronik (1110) erwähnt, dass die Chorutane (Ca-
rantani/Karantaner) auch Sloveni sind. Andere Namen
für diesen Raum oder Teile davon sind marca Vinedo-
rum, provincia Sclaborum, partes Sclavorum, Sclavinia,
regio carantana, partes quarantanae, regnum carantanum.
Die viel diskutierte Ausdehnung des Fürstentums ohne
genaue Grenzangaben (→ Sprachgrenze) deckt sich
im 8. Jh. etwa mit den slowenischen Ortsnamen in
Österreich südlich der Donau/Donava bis zur Drau/
Drava und den →
Karawanken/Karavanke (älter auch
Kranjske gore). Die C. leben in der Nachbarschaft der
Bagivarii/Baiern (→
Bagoaria). Auf Bitten des dux Ca-
rantanorum Borut kamen die Baivaren/Bagoarii den
C. zu Hilfe und vertrieben die → Awaren. Gemeinsam
mit den Baiern (Bawari cum Quarantanis) verdrängten
die C. die Awaren Huni aus Pannonien. Sie hatten auch
geholfen, die Aufstände (→ carmula) der heidnischen
pagani gentiles (→ Edlinger/kosezi) im Land nieder-
zuschlagen. Damit unterwarfen sich die C. der Herr-
schaft der (fränkisch/baivarischen) Könige/reges. Die
späteren Fürsten Carastus/Cacatius und Cheit-
marus wurden als Geiseln obsides zur Bildung nach
dem christlichen Glauben und zur Taufe nach Baiva-
rien/Baivaria gebracht (→ Chiemsee). Die ladinische
Bezeichnung für Carantanus (auch Carantianus) war
Carantan und Coranzan (→ Personennamen im Salz-
burger → Verbrüderungsbuch), die → altslowenische
wäre Korontan oder Korontjan(in). Die heutige Form
Korošec »der Kärntner« (wörtlich ein »Karantanischer«)
geht wie Koroška »Kärnten« auf das Adjektiv korontisk-
> koroška »das Karantanische (Land)« zurück, die deut- sche Form Kärnten/Kärntner (bairisch Karntn/Karnt-
ner) auf das Ladinische Carantania/Carantan.
Literaturüblich gilt in der Slawistik, dass die C./Slo-
wenen aus der »Urheimat« nördlich der Karpaten ein-
gewandert seien und ursprünglich überall »urslawisch«
bzw. »urslowenisch« gesprochen hätten. Die Begriffe
»Urheimat« und »Urslawisch« beachten allerdings nicht
die → Kontinuität des Einheimischen in den Ländern,
wo sich das Slawische erst durch → Sprachmischung
(→ Karantanerslowenisch) durchgesetzt hat, noch die
unbekannte Sprachbeziehung zwischen Slawisch und
»Awarisch« (→ Awaren). Im östlichen und südöstli-
chen Österreich war bei den C. zuerst das literaturüb-
lich lange nicht erkannte Ladinisch (→ Altladinisch)
die Substrat-Sprache. Erst später kam das Baivarisch/
Bairische dazu, das selbst ein Kreol aus Ladinisch und
Alemannisch ist (→ Bagoaria, → Altbairisch).
Die C. als slawisch/frühslowenische Population wei-
sen sprachliche Besonderheiten auf, die sich weder di-
alektgeografisch als Kontinuum urslawischer Dialekte
noch genetisch in einen urheimatlichen Zusammen-
hang stellen lassen. Insbesondere sind die sprachlichen
Interferenzen mit der Sprache der Awaren nicht geklärt.
Begriffe wie ban, župan, kagan sind (etymologisch) nicht
slawisch. Auch die sprachliche Vermischung mit dem
→
Altladinischen wurde literaturüblich nicht beachtet.
Aufgrund der sprachlichen Kontinuität der karan-
tanerslowenischen Dialekte zum Slowenischen (vom
Slowenisch der → Freisinger Denkmäler zu späteren
kärntnerslowenischen Dialektformen) scheint es lo-
gisch, trotz der späteren Baivarisierung der C. zu einem
schon im Mittelalter ständig kleiner werdenden Gebiet,
aufgrund der Staatsrechts-Traditionen (→ Fürstenein-
setzung, → Rechtsinstitutionen) die C. in die slowe-
nische → Ethnogenese und Historiografie zu stellen.
Schließlich ist durch die territoriale Verbindung mit
dem heute überwiegend bairisch/deutschen Österreich
auch der Beitrag der slowenischen C. zur österreichi-
schen Ethnogenese durchaus stringent.
Lit.: M. Kos : Conversio Bagoariorum et Carantanorum. Ljubljana 1936 ;
H. Wolfram : Conversio Bagoariorum et Carantanorum. Das Weissbuch
der Salzburger Kirche über die erfolgreiche Mission in Karantanien und
Pannonien. Wien, Köln, Graz 1979 ; O. Kronsteiner : »Alpenromanisch«
aus slawistischer Sicht. In : Das Romanische in den Ostalpen. Hg. D.
Messner. ÖAW Philosophisch-Historische Klasse. SB 442. Wien
1984 : 73–93 ; G. Piccottini : Die Römer in Kärnten. Klagenfurt 1989 ;
F. Lošek : Die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und der Brief
des Erzbischofs Theotmar von Salzburg. Hannover 1997 ; H.-D. Kahl :
Der Staat der Karantaner. Fakten, Thesen und Fragen zu einer frühen
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 1: A – I
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 542
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55