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Chiemsee
Chiemsee, Gedenktafel, Foto
Bojan-Ilija Schnabl
wird er vom »althochdeutschen« → Personennamen
*Chiemo abgeleitet. Der lateinische Name des Sees ist
nicht bekannt, möglicherweise Lacus bedaius nach dem
castrum Bedaium/Seebruck an der Brücke der Römer-
straße über die Alz im Norden des Sees. Seen haben
gewöhnlich regional keinen Namen, meist nur einen
überregional kartografischen (wie Bodensee/lacus Ven-
etus). In der → Conversio (um 870) heißt er Chemingus
lacus, 891 Chiemincseo, 1213 Chimse.
Die →
Kontinuität des Römischen/Romanischen
im Chiemgau (8. Jh. in pago Chimingaoe) ist archäo-
logisch und sprachlich eindeutig. Um den Chiemsee
waren neben dem castrum Bedaium in schönen Lagen
villae rusticae mit Mosaikböden (Ising/villa Usinga,
Irsching/<Üršin, Urschalling/<Üršelin), Aussichts- und
Vermessungspunkte specula (Spöck, Speckberg, Speck-
bach), Raststationen mansiones, Pferdegestüte equile
(Eggstätt), eine Ziegelei und Töpferei figlina am Inn ad
Aenum/Adenum (heute Pfaffenhofen, Langenpfunzen)
bei Rosenheim und Mineralquellen ad fontes (Leon-
hardspfunzen) sowie eine Innbrücke pons Aeni. Auf den
beiden Chiemseeinseln (Fraueninsel, Herreninsel) gab
es römische, frühchristliche (literaturüblich → karolin-
gische) Kirchen, auf der Fraueninsel (die Torhalle), auf
der Herreninsel auch eine Befestigung (Ringwall). Seit
das Christentum Ende des 4. Jh.s Staatsreligion wurde,
entstanden im gesamten Imperium christliche Ge-
meinden und Kirchen. Das Imperium wurde flächen-
deckend christianisiert. Beide Inseln mit ihren Kirchen
waren vermutlich schon seit dem 8. Jh. im tatsächlichen
und später auch juridischen Besitz des Erzbistums Salz-
burg. Man beachte zur Kontinuität des Romanischen :
Die christliche Terminologie des → Altbairischen und
→
Altslowenischen ist ladinisch. Auf der Herreninsel, auch Herrenchiemsee, in der
→ Conversio in Auua, später Herrenwerdt, begründete
der dux Baivariorum Tassilo III. (ein leidenschaftli-
cher Baivare, Christ, Klostergründer, in einem Kloster
als Mönch gestorben) 765 ein benediktinisches Kloster
für Männer, 782 auf der Fraueninsel eines für Bene-
diktinerinnen (zwischen 782 und 788 ein Kloster in
Molzbichl/Molec, das älteste in Kärnten/Koroška, und
möglicherweise auch → Millstatt (Milštat/Milje), 770
Mattsee in Salzburg, 777 → Kremsmünster in Ober-
österreich). 1125 machte der Salzburger Erzbischof
Konrad I. aus dem benediktinischen Herrenchiemsee
ein Augustiner-Chorherrenstift. Herrenchiemsee war
als ecclesia petenis (zu ladinisch Bedaio) Filialbistum für
die westlichen Gebiete der Salzburger Erzbischöfe. In
Salzburg gibt es noch heute den Chiemseehof, die ehe-
malige Salzburger Residenz des »Chiemseebischofs«,
heute Sitz der Landesregierung. Dobdagrecus, der
irische Landsmann → Virgils war auf der Herrenin-
sel von 747 bis 755 als Weihbischof tätig. Nach neues-
tem Wissensstand bestand schon im 7. Jh. ein Kloster,
in dem irische Mönche (peregrinatio) tätig waren. Das
Kloster wurde 1803 säkularisiert und zu einer Bier-
brauerei. Neben der Klosterkirche gab es für Laien die
Kirche St. Maria. In ihr befindet sich heute eine slo-
wenische Gedenkinschrift an die karantanischen du-
ces Carastus/Gorazd und Cheitmar/Hotimir
(→
Duces Carantanorum).
Auf der Fraueninsel, auch Frauenchiemsee, 1175
Nunnenwerde in insula Chiemse, später Frauenwerdt, be-
gründete Tassilo 782 ein benediktinisches Nonnenklos-
ter, möglicherweise auch an eine ältere kirchliche Tradi-
tion anknüpfend. Berühmteste Äbtissin war Irmengard
(857 bis † 866), die Tochter Ludwigs des rex Baivario-
rum (843–876, literaturüblich »der Deutsche«).
Laut Conversio kamen kurz vor 750 (das Benedik-
tinerkloster bestand noch nicht) der Sohn des karan-
tanischen dux Borut Carastus/Cacatius (slow. Go-
razd, dux in Karantanien 750–752) und der Neffe
Cheitmarus (Hotimir, dux 752–769) als Geiseln ob-
sides (→
Duces Carantanorum) für die Treue der Ka-
rantaner zum baivarischen Fürstentum und zur »Un-
terweisung im Christentum« auf die Herreninsel, wo
sie auch getauft (altslowenisch Christus/Krišt > krištiti)
wurden. Der Salzburger Priester Lupo, offensichtlich
ein Salzburger Ladiner, betreute sie. Er wurde auch ihr
Taufpate compater. Cheitmar/Hotimir wurde dem
späteren Weihbischof von → Maria Saal/Gospa Sveta
Modestus anvertraut : duxeruntque inde secum obsides
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 1: A – I
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 542
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55