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Dezemberverfassung
Verfassungen Österreichs
Kaiser Franz-Joseph I. sanktioniert wurden und tags
darauf in Kraft traten. Damit wurde die Umwandlung
des einheitsstaatlichen Kaisertums Österreich in die
zweistaatliche Doppelmonarchie Österreich-Ungarn ma-
teriell-rechtlich besiegelt und behielt ihre Gültigkeit
bis zum Ende der Monarchie. Die als liberal charak-
terisierten Staatsgrundgesetze stellten das Staatswesen
auf eine neue verfassungsrechtliche Grundlage. Einer-
seits war dies die Folge der geänderten internationalen
Machtverhältnisse sowie der erstarkten ungarischen
politischen Bestrebungen (die Schlacht bei Solferino
1859 ebnete den Weg zum italienischen Einigungspro-
zess, die Schlacht bei Königgrätz [tschechisch Hradec
Králové] 1866 festigte den Führungsanspruch Preußens
und führte zur kleindeutschen Lösung bzw. der Grün-
dung des Kaiserreiches 1871). Andererseits legte die
konstitutionelle Staatsform in der Nachfolge des Ok-
toberdiploms von 1860 und des Februarpatentes von
1861 bzw. des Sistierungspatentes von 1865 die rechtli-
chen Rahmenbedingungen für die Modernisierung des
Staatswesens und ließ gleichzeitig wesentliche Teile der
traditionellen Machtverhältnisse unangetastet.
Die Dezemberverfassung umfasste 1. das Grundge-
setz über die Reichsvertretung (RGBl. 141/1867), das
die entsprechenden Bestimmungen über den Reichsrat
des Februarpatentes von 1861 auf die österreichische
Reichshälfte anpasste ; 2. das Grundgesetz über die all-
gemeinen Rechte der Staatsbürger, d. h. die üblichen
liberalen Grundrechte nach dem Vorbild der → Okt-
royierten Märzverfassung von 1849 (RGBl. 142/1867) ;
3. das Grundgesetz über die Einsetzung eines Reichs-
gerichts, »welches zur Kontrolle der Verwaltung in
Bezug auf die Achtung der politischen Rechte berufen
war« (Walter/Mayer) und ein Vorläufer des Ver-
fassungsgerichtshofes der Ersten Republik ist (RGBl.
143/1867) ; 4. das Staatsgrundgesetz über die richterli-
che Gewalt (RGBl. 144/1867), »das die Unabhängig-
keit der Gerichte und bestimmte Organisationsprinzi-
pien für die Gerichtsbarkeit vorsah und die Errichtung
eines Verwaltungsgerichtshofes verhieß« (dieser wurde
erst 1875, RGBl. 36/1876, eingerichtet) (Walter/
Mayer) ; 5. das Staatsgrundgesetz über die Ausübung
der Regierungs- und Vollzugsgewalt, »das Bestim-
mungen über die Stellung des Kaisers, der Regierung,
das Verordnungsrecht und die Stellung der Beamten
enthielt« (Walter/Mayer) (RGBl. 145/1867) sowie
6. das sog. Delegationsgesetz, über die allen Ländern
der Habsburger Monarchie gemeinsamen Angelegen-
heiten und die Art ihrer Behandlung (RGBl. 146/1867). Dieses setzte zwei Delegationen mit je 60 Mitgliedern
ein, die zu einem Drittel aus Mitgliedern des Herren-
hauses bzw. des Magnatenhauses und zu zwei Dritteln
aus Mitgliedern des cisleithanischen Reisrates bzw.
des transleithanischen Reichstages beschickt wurden,
und zwar zur koordinierten Regelung von pragma-
tischen Angelegenheiten (Auswärtiges, Kriegs- und
diesbezügliche Finanzangelegenheiten) sowie von
sog. dualistischen Angelegenheiten (Zoll, Münz- und
Geldwesen, Wehrsystem, indirekte Abgaben auf die
industrielle Produktion, Eisenbahnlinien im Interesse
beider Reichshälften). Die Landesordnungen und das
ungleiche Zensus- und Kurien- und Männerwahlrecht
des Februarpatentes blieben aufrecht bzw. wurden na-
hezu unverändert übernommen. Letzteres wurde bis zur
Einführung des allgemeinen Wahlrechts für Männer
1907 sukzessive ausgedehnt, der Zensus gesenkt, 1896
eine fünfte Kurie eingeführt und die Zahl der → Ab-
geordneten sukzessive von 203 Abgeordneten 1867 auf
353 im Jahr 1873, auf 425 im Jahr 1896 und auf 516 im
Jahr 1907 erhöht.
Der Grundrechtskatalog des Staatsgrundgesetzes
über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger umfasste
20 (19 + 1) Artikel und knüpfte an die liberalen An-
sätze der Oktroyierten Märzverfassung 1849 an. Er
wurde in den Rechtsbestand der Ersten Republik re-
zipiert sowie über Art. 149 der Bundesverfassung aus
1929 in der nunmehr geltenden konsolidierten Fassung
mit einigen Anpassungen übernommen. Er umfasst
staatsbürgerliche Rechte ebenso wie solche, die nicht
auf Staatsbürger beschränkt sind. So regeln Art. 1 die
Staatsbürgerschaft, Art. 2 den Gleichheitsgrundsatz für
Staatsbürger, Art. 3 den Zutritt zu öffentlichen Äm-
tern für alle Staatsbürger, Art. 4 die Freizügigkeit der
Person bzw. das Wahlrecht für Staatsbürger am Ort
der Niederlassung, Art. 6 die Aufenthaltsfreiheit für
Staatsbürger, Art. 7 die Aufhebung des Untertänigkeits-
und Hörigkeitsverbandes und des geteilten Eigentums,
Art. 12 die Vereins- und Versammlungsfreiheit für
Staatsbürger, Art. 17 die Freiheit der Wissenschaft und
Lehre bzw. das Recht jedes Staatsbürgers, im Rahmen
der gesetzlichen Vorgaben Unterrichts- und Erzie-
hungsanstalten zu gründen und zu unterrichten. Der
letzte Artikel des Grundrechtskatalogs ist Art. 19., der
die Gleichheit aller Völker/Nationalitäten (→ »Volks-
stämme«) statuiert. Angesichts der Tatsache, dass die
nationale Frage eine zentrale politische Herausfor-
derung war, ist dies durchaus symptomatisch, wenn
man bedenkt, dass die Gleichberechtigung der »Volks-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 1: A – I
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 542
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55