Seite - 308 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
Bild der Seite - 308 -
Text der Seite - 308 -
308
Eisenkappler Passionsspiel
wird von seiner Blindheit geheilt und betet Christus an.
Nach der Kreuzesabnahme schildert Maria in einer Art
Interludium die Leiden, die Jesus und sie als seine Mut-
ter erdulden mussten. Den reuigen Sünder tröstet sie,
dass ihm durch Christi Leiden seine Schuld erlassen
werde. Mitten in der Szene der Kreuzesabnahme bricht
die Handschrift ab.
Die mystischen Elemente sind bei der Vorstellung am
Ostermontag stärker ausgeprägt. Bereits in der ersten
Szene treten zwei Engel und der Tod auf. In seinem
Monolog verkündet dieser, dass alle unter seine Sense
kommen müssten, mögen sie nun jung oder alt, arm oder
reich, »Bauern, Herren oder Könige, Kaiser, Päpste oder
Kardinäle« sein. Die Hohen Priester beraten über Jesu
Ankündigung, er werde nach drei Tagen wieder aufer-
stehen. Mit der Drohung, ihn beim Kaiser zu verklagen,
erpressen sie Pilatus. Die vier Soldaten, die zur Wache
abkommandiert wurden, beschließen, die Würfel ent-
scheiden zu lassen, wer die Wache übernehmen müsse.
Der Soldat, auf den das Los fällt, bittet die scharfzün-
gige Magd Ancilla, ihm Feuer zu bringen. Im Streit mit
ihr werden wiederum Männer- und Frauenstereotype
bedient. Schließlich legt er sich zu seinen Kameraden,
über deren stinkende Winde er sich beklagt. Zwei En-
gel verkünden die Auferstehung, Christus erscheint
seiner Mutter. Als die Soldaten aufwachen, herrscht
Verwirrung und Chaos, das mit volkstümlichem Hu-
mor geschildert wird. Die darauf folgenden Szenen
entsprechen wiederum stärker der biblischen Vorlage
aus der Osterliturgie. Ein Lied schließt die Vorstellung
und leitet zum Nachspiel über.
Im Nachspiel tritt Luzifer als Kläger vor Christus,
dem gerechten Richter, auf und fordert die Verdamm-
nis der Seele, die seine Gebote gebrochen habe. Die
Seele wendet sich an Maria um Fürbitte bei Christus.
Der Erzengel Michael mit seiner Seelenwaage wird
gerufen, die zugunsten der Seele ausschlägt, als Maria
den Rosenkranz, den die Seele eifrig gebetet hat, in die
Waagschale wirft.
Bei der erhaltenen Handschrift handelt es sich of-
fensichtlich um eine Kompilation älterer Texte. Die
zeitliche Reihenfolge, in der die einzelnen Elemente
aneinandergefügt wurden, ist nicht eindeutig festzustel-
len. Für das relative Alter des Passionspiels scheint vor
allem seine Dreiteiligkeit zu sprechen, die nach Gra-
ber (1923 b : 10 ff.) charakteristisch für die Kärntner
Passion im 16. Jh. war. Die jüngste Schicht scheint eine
reimlose Dramatisierung der Synopsis der vier Evange-
listen zum Palmsonntag und des Johannesevangeliums zum Gründonnerstag (Joh.
13, 1-15) zu sein. Die Text-
vorlagen wurden den katholischen Perikopen, die unter
dem Titel Evangelia i listuvi seit 1612 (Breznik 1917)
in zahlreichen Ausgaben gedruckt wurden, entnom-
men. Texte aus der Osterliturgie, z. B. das Improperium
popule meus, das Te deum und das Stabat mater, werden
eingefügt.
Der kompilatorische Charakter geht aus der Wie-
derholung einiger Szenen, mehrerer Abschreibfehler
und Bruchstellen hervor. Das Fehlen eines Hinweises
auf das Letzte Abendmahl im Prolog der Vormittags-
aufführung lässt vermuten, dass dieser Teil erst später
hinzugefügt wurde. Im Prolog zur Abendvorstellung
des Gründonnerstags wird das Reichen des Schweißtu-
ches nicht Veronika, sondern Maria Magdalena zuge-
schrieben. Diese Verwechslung dürfte dem Bestreben
geschuldet sein, Maria Magdalena als Sünderin, deren
erotische Darstellung des Öfteren Anlass zu Beschwer-
den und Verboten war, im ursprünglichen Text zu tilgen.
Eine von Graber (1923) und nach ihm von Kret-
zenbacher (1952) vermutete Abhängigkeit vom deut-
schen Passionsspiel der Glanhofer-Gruppe lässt sich
nach Vorliegen des gesamten Textes nicht nachweisen.
Koruza (1979 : 152 f.) sieht die Vorlage in einer Auf-
führung des Christi-Leidensspiels, das 1615 von den
→ Jesuiten im nahe gelegenen Eberndorf/Dobrla vas
aufgeführt wurde. Kotnik (1943 : 105) verortet auch
das Nachspiel vom Armen Sünder in der jesuitischen
Spieltradition der Expositur Eberndorf/Dobrla vas.
Die Drastik, die etwa beim Herausreißen der Gedärme
in der Judasszene und bei den flatulierenden Solda-
ten vor dem Grabe Christi als Stilmittel zum Tragen
kommt, verweist auf eine barocke Ästhetik.
Lit.: A. Breznik Literarna tradicija v ›Evangelijih in listih‹. In : DiS
30 :5 (1917) 6, 170–174 ; 225–230 ; 279–281 ; A. Stegenšek : Zgo-
dovina pobožnosti sv. križevega pota. V Mariboru 1912 ; G. Graber :
Kärntner Volksschauspiele, III Passionsspiel. Das Kärntner Spiel vom
Leiden und Sterben Christi. (Deutsche Hausbücherei 82). Wien
1923 ; S. Singer : Kultur- und Kirchengeschichte des Jauntales. Band
III : Dekanat Eberndorf. Kappel 1938 (Im Selbstverlage des Verfas-
sers) [Photomechanischer Nachdruck : Klagenfurt/Celovec 1979] ;
F. Kotnik : Pasionska igra iz Železne Kaple. In : Slovenske starosvet-
nosti – nekaj zapiskov, orisov in razprav (Slovenska poljudnoznan-
stvena knjižnica I/1. V) Ljubljana 1943, 99–105 ; L. Kretzenbacher :
Passionsbrauch und Christi-Leiden-Spiel in den Südost-Alpenländern.
Salzburg 1952 ; J. Koruza : Starejša slovenska koroška dramatika. In : E.
Prunč, A. Malle (Hg.) : Koroški kulturni dnevi I. Zbornik predavanj.
Maribor 1973, 128–145 ; J. Koruza : Začetki slovenske posvetne drama-
tike. In : JiS 24 (1979) 8, 149–266 ; E. Prunč : Kapelški pasijon. In : A.
Skaza, A. Vidovič-Muha (ed.) : Obdobje baroka v slovenskem jeziku,
književnosti in kulturi. Mednarodni simpozij v Ljubljani od 1. do
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 1: A – I
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 542
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55