Seite - 324 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
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Ethnologie
Institut Urban Jarnik (NIUJ),
Klagenfurt/Celovec
SEM
ethnografisch abwegig klargestellt. Seither wird → win-
disch amtlich nicht mehr verwendet. Die Diskussion
zeigt die Grenzen der E. als Forschungskonzept. Die
Begriffe Ethnos/Ethnie und Nation stören und irritie-
ren die Zugehörigkeit einer Minorität zu einem Volk,
zu einer Nation. Sind die deutschsprachigen Südtiroler
(Pass-Italiener) Deutsche oder Österreicher ? Haben die
heute deutschsprachigen und slowenischsprachigen Ös-
terreicher die gleiche Geschichte ? Wer ist eingewandert,
wer war schon da ? Seit wann ist Österreich zweispra-
chig (slowenisch/deutsch) oder nur einsprachig (deutsch) ?
Gibt es → Kontinuität, → Inkulturation, → Sprachmi-
schung, → Sprachwechsel, → Assimilation oder sind
»fertige« Völker/gentes eingewandert ? Das allfällige
Ergebnis, die Österreicher waren schon immer da (Mil-
lennium), die Slowenen in Kärnten/Koroška sind einge-
wandert, entspricht nicht den historischen Fakten. Die
Toponymie (→ Ortsnamen) zeigt Kontinuität für alle,
frühere Mehrsprachigkeit trotz heutiger Dominanz des
Deutschen, und mehrmaligen → Sprachwechsel durch
Herrschafts- und Besitzwechsel (→ Adelssprache). E. ist
kein exklusiv linguistischer, kein biologischer, sondern
vielfach ein differenzierter, komplexer auch ideologisch-
politischer Prozess von stets wandelbaren Identitäten.
Die slowenische E. ist nicht allein sprachlich darzustel-
len. Sie ist kein linguistischer oder biologischer, sondern
ein ideologischer Prozess. Slowenische Dialekte sind als
soziologischer Prozess seit dem 7. Jh. entstanden durch
Vermischung der Sprache der einheimischen romani-
schen Bevölkerung (→ Altladinisch) mit dem Slawisch
der Awarenherrschaft und des karantanischen Staates
und dem später dominant werdenden Bairisch. Ladini-
sche Dialekte wurden von Graubünden, Friaul, Slowe-
nien bis Niederösterreich gesprochen (um Salzburg bis
ins 13. Jh., um Innsbruck bis ins 16. Jh., in Graubün-
den und Friaul bis heute). Die ladinische Grundlage der
christlichen → Terminologie des Slowenischen wurde
lang unterschätzt. Es sind die »fehlenden 100 (→ ka-
rantanerslowenischen) Jahre« einer slawistischen Ge-
schichtsumdeutung, die »slawische Geschichte« erst mit
Kyrill und Method und einer eigenen slawischen
Schrift (→ Glagolica) in einem fiktiven »großmähri-
schen« Reich beginnen lässt. Slowenisch wird älteste
slawische Schriftsprache durch Verschriftung der karan-
tanerslowenischen Dialekte im 8. Jh. als Kirchen- bzw.
→ Liturgiesprache (→ Sprachgattungen, → Freisinger
Denkmäler) und ab dem 16. Jh. als Literatursprache aller
Slowenen durch Verschriftung des krainischen Dialekts
(Jurij → Dalmatin, Primož → Trubar). Wie überall in den Alpen gibt es keine »Landnahme«,
sondern sprachliche Slawisierung der einheimischen
Bevölkerung Karantaniens. Die heutigen Slowenen
in Kärnten/Koroška sind keine Einwanderer, sondern
eine ebenso autochthone Bevölkerung wie die anderen
Österreicher mit dem Unterschied gegenüber den Slo-
wenen in Slowenien, dass sich dort das Slowenische als
alleinige Staatssprache durchgesetzt hat, während es in
Kärnten/Koroška mit Deutsch als Majoritätssprache
zu einer Minoritätssprache (bei sozial differenzierter
→ Zweisprachigkeit) geworden ist.
Lit.: R. Wenskus : Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der
frühmittelalterlichen gentes. Köln ²1977 ; H. Wolfram : Ethnogenesen
im frühmittelalterlichen Donau- und Ostalpenraum (6.–10. Jahrhun-
dert). In : H. Baumann, W. Schröder (Hg.) : Frühmittelalterliche Eth-
nogenesen im Alpenraum. Sigmaringen 1985 ; H. Friesinger, F. Daim :
Typen der Ethnogenesen unter besonderer Berücksichtigung der Bayern.
Wien 1990 ; B. Grafenauer : Oblikovanje severne slovenske narodnostne
meje. Ljubljana 1994 ; O. Kronsteiner : Die Verfremdung unserer ge-
meinsamen Vergangenheit. In : Die Slawischen Sprachen 57 (1998) 275–
287 ; Slovenija in sosednje dežele med antiko in karolinško dobo – začetki
slovenske etnogeneze = Slowenien und die Nachbarländer zwischen An-
tike und karolingischer Epoche – Anfänge der slowenischen Ethnogenese.
Hg. R. Bratož. Ljubljana 2000 ; O. Kronsteiner : Die fehlenden 100
karantanischen Jahre vor Kyrill und Method in der literaturüblichen Ge-
schichte der Slawistik. Wirklichkeit und Ideologie. Vortragmanuskript.
Kals 2012.
Otto Kronsteiner
Ethnologie, historische und vergleichende Wissen-
schaft über Alltagsleben und Alltagskultur.
Die E. formierte sich in Europa in der zweiten
Hälfte des 18. Jh.s auf der Grundlage des enzyklo-
pädischen historisch-geografischen, sprachlichen,
philosophischen, itinerarischen und chorografischen
Interesses an rational objektiven Beschreibungen und
Erklärungen kultureller Besonderheiten, Unterschiede
und Ähnlichkeiten zwischen den ethnischen Grup-
pen. Wichtig für die Entwicklung der E. waren die
→ Aufklärung (die Enzyklopädisten in Frankreich :
D’Alembert, Diderot u. a.) und die Romantik,
Letztere war vom geistigen Schaffen (Folklore) des
einfachen Volkes begeistert. In den meisten europäi-
schen Ländern verzweigte sie sich auf das Sammeln
und Erforschen der eigenen Volkskultur (die sog. Eth-
nografie, Volkskunde, später Folkloristik) und auf die
vergleichende Erforschung außereuropäischer Kultu-
ren (die sog. Völkerkunde und die allgemeine Ethno-
logie). In den Ländern Mitteleuropas stand meist die
heimische Ethnografie (Volkskunde) im Vordergrund ;
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 1: A – I
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 542
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55