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Französische Revolution
beitsmarktes, Unterbeschäftigung, Bettelei und Vaga-
bundentum. Dieser Dominoeffekt stürzte Frankreich
in einen Ausnahmezustand, der weder finanziell noch
politisch aufzuheben war. Als die Versuche des Finanz-
ministers Loménie de Brienne, Reformen zur Erhal-
tung des Absolutismus durchzuführen, am Widerstand
der Aristokratie scheiterten und dieser infolgedessen
die Generalstände – die drei Stände – zu einer Plenar-
sitzung einberief, kam der Dritte Stand endlich zum
Zug. Am 5. Mai 1789 wurde die Sitzung der General-
stände eröffnet, und von da an übernahm der politisch
gebildete Teil des Dritten Standes, nämlich die Bour-
geoisie, die Führung. Ihre Ziele, so Soboul, waren »die
Zerstörung der aristokratischen Privilegien und die Er-
richtung bürgerlicher Gleichheit in einer Gesellschaft
ohne Stände oder Körperschaften. Dabei wollte sie sich
allerdings an einen strikten Legalismus halten. In ih-
rem Handeln gestärkt wurde sie durch die Volksmasse,
die das wirklich treibende Element bildete« (Soboul,
2000, 33).
Damit beginnt das politische Tauziehen : Der Dritte
Stand mit der Bourgeoisie als Sprachrohr verlangt eine
»gemeinsame Wahlprüfung, die die Abstimmung nach
Köpfen und nicht nach Ständen impliziert« (Soboul,
2000, 49). Diesem Wunsch widersetzt sich die Aris-
tokratie gemeinsam mit dem Klerus vehement. Diese
beiden Stände versammeln sich getrennt vom Dritten
Stand in eigenen Räumlichkeiten und halten den Kon-
takt mit der Opposition so gering wie möglich.
König Ludwig XVI. willigt bei seiner Rede am 23.
Juni 1789 vor seinen Generalständen in eine mögliche
konstitutionelle Monarchie – eingeführt am 4. Septem-
ber 1791 – und die Abschaffung des Steuerprivilegs
ein. Seine Bedingung dabei ist, dass die »traditionelle
Gesellschaftsordnung« erhalten bleiben soll. Darunter
verstehe man : die »Lehensabgaben, Renten sowie die
feudalen und grundherrlichen Belastungen […]« (So-
boul, 2000, 49). Anhänger aller drei Lager wünschten
sich einen alsbaldigen Kompromiss, jedoch scheiterte
dieser an der fehlenden Bereitschaft des Adels, seinen
Privilegien abzuschwören. Parallel dazu ergriffen so-
ziale Unruhen immer weitere Teile Frankreichs. »[…]
Unruhen auf Märkten, Plünderungen von Getreide-
transporten, Angriffe auf städtische Zollschranken
[…]« (Soboul, 2000, 50) verunsicherten die Bevölke-
rung und drängten auf ein schnelles Handeln der Po-
litik. Die Fronten zwischen der Bourgeoisie und dem
Adel verhärteten sich zusehends, die Generalstände
liefen Gefahr, in einer Blockadepolitik zu erstarren. Letztlich entschied das Volk. Am 14. Juli 1789 mit
dem Sturm auf die Bastille wird symbolisch mit dem
arbiträren Absolutismus abgerechnet. Die erhitzten
Gemüter der Pariser Bevölkerung finden in der Zer-
störung des königlichen Staatsgefängnisses kurzzeitige
Genugtuung. Von der extremen Gewaltbereitschaft der
Bevölkerung verunsichert, akzeptiert der Adel die zwi-
schen dem 5.–11. August 1789 beschlossenen Erlässe
zur Aufhebung der aristokratischen Privilegien ; dabei
hofften die Monarchie und der Adel weiterhin auf eine
militärische Intervention aus dem Ausland, die ihr Feu-
dalsystem noch retten sollte. Die Furcht vor Intrigen
ausländischer Höfe, der Verrat des Königs – sein Bitt-
schreiben um militärische Intervention an das Ausland
–, sein Fluchtversuch nach Varennes am 21. Juni 1791
und die Angst vor einem »aristokratischen Komplott«
ließen die Spannungen in der Bevölkerung weiter an-
steigen. In den ländlichen Regionen kämpfte die Bau-
ernschaft gegen den Landadel, der weiterhin an seinen
Privilegien festzuhalten versuchte. Zu diesem Bürger-
krieg kam ab 20. April 1792 der Krieg mit Österreich
und Preußen hinzu. Das französische Volk bewaffnet
sich daraufhin mithilfe der Handelsbourgeoisie und
nimmt den Kampf gegen die Aristokratie Europas auf.
»Wenn dem Vaterland Gefahr droht«, verkündet die
Pariser Sektion Butte-des-Moulins, »muss der Sou-
verän – verstanden als das Volk im Sinne Rousseaus
– auf seinem Posten sein : an der Spitze seiner Armee,
an der Spitze seiner Angelegenheiten, überall hat er zu
sein« (Soboul, 2000, 73–74). Das Volk, dem bis dato
keine selbstbestimmte Rolle in der Verteidigung seines
Landes zugefallen war, leitete nun die Geschicke seiner
Nation selbst. Erstmals, so Soboul, wird ein demokra-
tisches Element im revolutionären Frankreich sichtbar.
Aus Angst vor dem Verlust der erkämpften Rechte
wurde unter dem Druck der Pariser Revolutionäre das
Revolutionäre Tribunal am 17. August 1792 eingerich-
tet. Dieses Tribunal hatte als Aufgabe, die Feinde der
französischen Nation zu klagen und über sie zu urteilen.
Seine Kompetenzen waren unbegrenzt und konnten
sich gegen jeden, ob Funktionär, Militär oder einfachen
Zivilisten richten.
Seit dem Fluchtversuch des Königs im Juni 1791
werden seine staatsmännischen Handlungen von der
Pariser Bevölkerung mit Misstrauen beobachtet. Da
im Sommer 1792 der Krieg gegen Preußen und Öster-
reich für die französischen Soldaten nur mit Verlusten
einhergeht, wächst die Missgunst gegenüber der regie-
renden konstitutionellen Monarchie weiter an. Am 10.
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 1: A – I
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 542
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55