Seite - 357 - in Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška - Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
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Frauen im ländlichen Raum in Südkärnten/Južna Koroška
verbunden mit ihrem Beitrag für das Überleben. Die
Werte wurden an die folgenden Generationen durch
die Vorbilder tradiert. Die Geburtenrate ging in Mit-
teleuropa erst zurück, als das Überleben nicht mehr
vom Grundbesitz und der Anzahl der Kinder als Ar-
beitskräfte abhängig war.
Die agrarische Wirtschaftsführung erforderte von
den Frauen aufgrund der Einheit von Wohnen und
Arbeit, sich sowohl in der Produktion als auch in der
Reproduktion einzubringen. Trotz des hohen morali-
schen Stellenwerts der Mutterschaft wurde die Ar-
beitskraft voll ausgenutzt. Wegen des großen Bedarfs
an Arbeitskräften ermöglichte die agrarische Wirt-
schaft auch den unverheirateten Müttern und ihren
Kindern ein Überleben. Dabei war die Einstellung zu
unverheirateten Frauen und ihren Kindern in den ein-
zelnen Kronländern der Habsburgermonarchie recht
unterschiedlich. Die gesellschaftliche Stigmatisierung
stand im umgekehrten Verhältnis zur Häufigkeit der
Erscheinung. So wurden in Kärnten/Koroška mit dem
geringsten Anteil an verheirateten Eltern und dem
höchsten Anteil an unehelichen Kindern diese am we-
nigsten stigmatisiert. 1890 waren in Kärnten/Koroška
45 % und im Bereich der gesamten Monarchie 15 %
der Kinder unehelich. Die südlichen Kronländer ver-
zeichneten selten einen Anteil über 10 % unehelicher
Geburten. Zwischen 1832 und 1945 wurden in beiden
durch die Mikrostudie erörterten slowenischen Orten
17 % der Kinder unehelich geboren. Die Statistiken in
den einzelnen Dörfern zeigen, dass Töchter größerer
Güter die meisten unehelichen Kinder hatten. Ihnen
folgten weibliche Inwohner und Mägde, was beweist,
dass uneheliche Kinder die Folge der Art der Wirt-
schaftsführung waren, die einem gewissen Teil der
Bevölkerung eine Eheschließung aus wirtschaftlichen
Gründen vorenthielt. In beiden genannten Orten fie-
len mehr als die Hälfte der unehelichen Geburten auf
Töchter großer Höfe, 15 % der Mütter waren Mägde
und 24 % Taglöhnerinnen.
Die staatliche Wohlfahrt entlastete die Arbeiterfa-
milien hinsichtlich der schwachen Familienmitglieder
und die sozialpolitische Gesetzgebung, die in Mittel-
europa in den letzten Jahrzehnten des 19. und in den
ersten Jahren des 20. Jh.s eingerichtet wurde. Der 1909
in Österreich erstellte Entwurf einer Bauernversiche-
rung wurde abgelehnt, weil man überzeugt war, dass die
Bauern wegen der ungenügenden Besitzstruktur und
der damit verbundenen zahlenmäßigen Dominanz der
Kleinbauern die finanziellen Belastungen nicht tragen könnten. Die österreichische Gesetzgebung für eine
bäuerliche Krankenversicherung wurde erst 1965 ange-
nommen, jene für die bäuerliche Pensionsversicherung
im Jahr 1969.
Die Frauen arbeiteten in der Landwirtschaft bis
zur Geburt und danach. Der Staat regelte später den
Mutterschutz am Arbeitsmarkt. Damit sicherte er
sich in der Zeit, als den Frauen die Mutterschaft als
Lebensziel diktiert wurde, eine Reservearmee billiger
Arbeitskräfte. Erst feministische Studien über die Für-
sorgegesetzgebung und den Mutterschutz brachten ans
Licht, dass diese Maßnahmen nicht wegen der Frauen
selbst getroffen wurden, sondern um die Ideologie über
ihre primäre Rolle, die vor allem in der Fürsorge für
die Kinder und die übrigen Familienmitglieder lag, zu
festigten.
Die Trennung von Produktion und Reproduktion
beeinflusste beide Geschlechter, so hinsichtlich der
Arbeitsteilung wie auch hinsichtlich der Aufgaben der
Familienmitglieder, vor allem aber hinsichtlich des Ver-
hältnisses zwischen dem privaten Familienleben und
der öffentlichen Arbeitswelt. Die Hausarbeit wurde
zunehmend im Namen der Sorge und Liebe verrich-
tet, die wirkliche Erwerbstätigkeit fand außerhalb des
Heims statt. Zudem verdrängte auch die Technisierung
der Landwirtschaft parallel zur Intimisierung der Fa-
milie die Frauen immer mehr aus der Produktion. Mit
der veränderten Rolle der Hausfrau und Mutter, die
nicht mehr funktional war und die gleichzeitig Träge-
rin besonderer symbolhafter Bedeutungen war, begann
sich der private und öffentliche Bereich auch am Land
voneinander zu lösen.
Mit dem Aufleben des organisierten slowenischen
→ Vereinswesens im Rahmen der → Kulturvereine zu
Beginn des 20. Jh.s erhielten Frauen erweiterte Mög-
lichkeiten der gesellschaftlichen Partizipation vor al-
lem im Bereich der Volkskultur, die sie durchaus auch
wahrnahmen (vgl. dazu beispielhaft : Milka → Hart-
man, Maria Magdalena → Knafelj-Pleiweis, Ma-
ria → Zwitter, Amalia → Lužnik ; → Frauenfrage,
→ Frauenliteratur, → Edinost Št. Tomaž, → Laienthe-
ater, → Theater).
Lit.: M. Mitterauer : Frauenarbeit in der Geschichte : Geschlechtsspe-
zifische Arbeitsteilung in vorindustrieller Zeit. In : Beiträge zur histo-
rischen Sozialkunde, 3. Salzburg 1981, 77, 81 ; G. Neyer : Sozialpolitik
von, für und gegen Frauen : Am Beispeil der historischen Entwicklung der
Mutterschutzgesetzgebung in Österreich. In : Österreichische Zeitschrift
für Politikwissenschaft 13 (1984) 428 ; M. Segalen : Historical Anth-
ropology of the Family. Cambridge 1988, 203–204 ; E. Bahovec : Pre-
Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
Von den Anfängen bis 1942, Band 1: A – I
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška
- Untertitel
- Von den Anfängen bis 1942
- Band
- 1: A – I
- Autoren
- Katja Sturm-Schnabl
- Bojan-Ilija Schnabl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79673-2
- Abmessungen
- 24.0 x 28.0 cm
- Seiten
- 542
- Kategorien
- Geographie, Land und Leute
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Geleitwort von Ana Blatnik, Präsidentin des Bundesrates (Juli – Dezember 2014) 7
- Spremna besede Ane Blatnik, predsednice državnega sveta (julij – december 2014) 8
- Geleitwort von Johannes Koder 9
- Vorwort der Herausgeberin und des Herausgebers 11
- Einleitung – slowenische Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška 15
- Alphabetische Liste der AutorenInnen/BeiträgerInnen im vorliegenden Band 38
- Verzeichnis der Siglen 40
- Verzeichnis der Abkürzungen und Benutzungshinweise 46
- Editoriale Hinweise 51
- Lemmata Band 1 A – I 55