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xl Einleitung
Zur Veranschaulichung des Bereichs kirchlicher Dienst hier ein prosopografisches
Beispiel: Besonders häufig werden Studenten der Jurisprudenz als Kanoniker genannt,
stellvertretend für diesen kirchlichen Karriereweg kann Johannes Angrer stehen. Der aus
Rosenberg bei Vyšší Brod (Hohenfurt) stammende Angrer immatrikulierte sich 1478 in
Wien208 und studierte anschließend an der Artistenfakultät. Im Sommer 1488209 ließ er
sich an der Juristenfakultät als magister artium eintragen, die zu erwartenden Graduierun-
gen blieben jedoch aus. Bis zum Jahr 1505 ist Angrer an der Fakultät nicht nachweisbar,
ein Blick nach Ingolstadt verrät jedoch, dass er sich dort im Sommersemester 1493 ein-
schreiben ließ210. Auch in der bayerischen Universitätsstadt hat sich Angrer nicht allzu
lange aufgehalten, denn nur drei Jahre später erwirbt er 1496 den Doktor beider Rechte
in Ferrara211. In diesem Zusammenhang erfahren wir, dass der nun fertig ausgebildete
Jurist auch Priester in der Prager Diözese und neben seinem magister artium auch theolo-
gischer Bakkalar war212. Ausgestattet mit einem legistischen Doktor, der zum damaligen
Zeitpunkt noch nicht in Wien erworben werden konnte, kehrte Angrer nach Wien zu-
rück und wurde an der Universität 1505 als Cesarei iuris doctor aufgenommen213. In den
darauffolgenden Jahren wurde er dreimal juristischer Dekan214 und 1512 auch Rektor215,
zudem firmiert er wieder als Mitglied des Prager Domkapitels (Archidiakon). Neben sei-
ner Funktion als Dekan ist Angrer auch als Professor des Kirchenrechts bezeugt216. Ob
er auch das römische Recht, das zum damaligen Zeitpunkt seit Kurzem in Wien studiert
werden konnte, unterrichtete, ist nicht klar.
Johannes Angrer beschritt einen durchaus nicht unüblichen Karriereweg, der gleich-
wohl nur einer kleinen (wohl ökonomisch besser gestellten) Gruppe vorbehalten war.
Mitglieder eines Domkapitels finden sich verhältnismäßig häufig an der Wiener Juristen-
fakultät, und auch das zwischenzeitliche Studium des römischen Rechts in Italien ist ein
mehrfach zu beobachtendes Phänomen. Grundsätzlich kann wohl davon ausgegangen
werden, dass Angrer einem höheren Stand angehörte, denn sein häufiger Studienortwech-
sel dürfte wohl sehr kostspielig gewesen sein217.
Der letzte große Tätigkeitsbereich für ausgebildete Juristen ist in den Städten zu fin-
den. Die mittelalterliche Stadt war in Österreich durch eine starke Oberhoheit des Stadt-
herrn, im Fall von Wien des Landesfürsten, geprägt. Der Stadtherr und sein Vertreter,
der Stadtrichter, standen einer im Spätmittelalter selbstbewusster werdenden Bürgerschaft
gegenüber. Bürger, Kaufleute und auch Handwerker waren im Stadtrat vertreten. Die
Verwaltung wurde vom Bürgermeister und vom Rat getragen, an der Spitze der Adminis-
tration stand der Stadtschreiber. Er war der Leiter der Kanzlei, führte die Ratsprotokolle
sowie die Stadtbücher und erledigte die Korrespondenz. Spätestens ab dem 16. Jahrhun-
dert war es üblich, dass dieser juristisch gebildet war. Er wurde somit auch zum juristi-
208 MUW II, 1478 I H 28.
209 UAW, MFJ II, 1488 I 12.
210 Pölnitz, Matrikel Ingolstadt, 223.
211 Pardi, Titoli, 102.
212 Ioannes Angrer de Rosenberek [bohemus] presbyter Pragensis diocesis, art. mag., theol. bacalarius. Pardi,
Titoli, 102.
213 UAW, MFJ II, 1505 II 6.
214 UAW, MFJ II, 1507 II; 1511 I; 1512 II.
215 MUW II, 1512 I.
216 UAW, MFJ II, 1512 II: decretalium ordinarius lector.
217 Wobei zu erwähnen ist, dass Ferrara im Vergleich zu anderen italienischen Studienorten noch als er-
schwinglich galt. Dazu: Bauer, Universität Padua, 130.
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Die Matrikel der Wiener Rechtswissenschaftlichen Fakultät
Matricula Facultatis Juristarum Studii Wiennensis, Band II:1442–1557
- Titel
- Die Matrikel der Wiener Rechtswissenschaftlichen Fakultät
- Untertitel
- Matricula Facultatis Juristarum Studii Wiennensis
- Band
- II:1442–1557
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20255-4
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 326
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung vii
- 1.1 Forschungsstand viii
- 1.2 Vorhaben und Ziele der Edition x
- 1.3 Die Quelle xi
- 1.4 Der Wert der Quelle – Prosopografische Erkenntnisse xii
- 1.5 Die juridische Fakultät: Studienvoraussetzungen, Studienverlauf und Größe xiv
- 1.6 Paläografische Analyse xvii
- 1.7 „Studium im Ausland“ – Italienaufenthalt und römisch-rechtlicher Einfluss xxi
- 1.8 Statistische Auswertung xxv
- 1.9 Berufliche Wirkungsfelder der Juristen xxxviii
- 1.10 Liste der Dekane xlii
- 1.11 Kurzzitate und Siglen der Quellen und Literatur xlvii
- 1.12 Abkürzungen im Text und in den Registern xlviii
- 1.13 Grundsätze der Edition li
- 1.14 Vorbemerkung zu den Registern lii
- 1.15 Quellen und Literatur liii
- 2. Text der Matrikel 1442–1557 1
- 3. Register 119
- Abstract 259