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Anwendungen auf spezielle Gleichgewichtszusta¨nde 166
voraus, und nennen ihn nach Gibbs eine
”
Phase“ des Systems.1 So bildet
eine Wassermenge, welche sich teils im gasfo¨rmigen, teils im flu¨ssigen, teils im
festen Aggregatzustand befindet, ein System von drei Phasen. Von vornherein
ist sowohl die Anzahl der Phasen als auch ihr Aggregatzustand ganz beliebig.
Doch la¨ßt sich sogleich erkennen, daß ein im Gleichgewicht befindliches
System zwar beliebig viele feste und flu¨ssige, aber nur eine einzige gasfo¨rmige
Phase besitzen kann; denn zwei verschiedene frei aneinandergrenzende Gase
befinden sich niemals miteinander im thermodynamischen Gleichgewicht.
§ 198. Außer der Zahl der Phasen ist fu¨r das System charakteristisch
die Zahl seiner
”
unabha¨ngigen Bestandteile“, oft auch
”
Komponenten“
genannt; von ihr ha¨ngen die wesentlichsten Eigenschaften des Gleichgewichts
ab. Die Zahl der unabha¨ngigen Bestandteile eines Systems definieren wir
in folgender Weise: Man bilde zuna¨chst die Zahl sa¨mtlicher im System
vorhandenerchemischeinfachenStoffe(Elemente)undscheidedannausdieser
Reihe diejenigen Stoffe als abha¨ngige Bestandteile aus, deren Menge durch
die der u¨brigen Stoffe in jeder Phase von vornherein bereits mitbestimmt
ist; die Zahl der u¨brig bleibenden Stoffe ist die Zahl der unabha¨ngigen
Bestandteile des Systems.2 Welche von den Bestandteilen des Systems man
als unabha¨ngige, und welche man als abha¨ngige Bestandteile ansehen will,
ist im u¨brigen gleichgu¨ltig, da es hier nur auf die Anzahl, nicht auf die
Art der unabha¨ngigen Bestandteile ankommt.
MitderchemischenKonstitutiondereinzelnenStoffe indenverschiedenen
PhasendesSystems,insbesonderemitderZahlderverschiedenenMoleku¨larten,
hat die Frage nach der Anzahl der unabha¨ngigen Bestandteile gar nichts
zu tun. Eine Wassermenge in beliebigen Aggregatzusta¨nden bildet z.B.
immer einen einzigen unabha¨ngigen Bestandteil, mo¨gen noch so viele und
verschiedenartige Assoziationen und Dissoziationen der H2O-Moleku¨le, sei
es in Knallgas oder in Ionen, vorkommen, insofern na¨mlich die Masse des
Sauerstoffs durch die des Wasserstoffs, oder umgekehrt, in jeder Phase
von vornherein bereits mitbestimmt ist. Ob allerdings letzteres wirklich
zutrifft, muß, genau genommen, erst durch eine besondere Untersuchung
festgestellt werden. Sobald man z.B. den Umstand beru¨cksichtigt, daß
Wasserdampf bei jeder Temperatur zum Teil in Knallgas dissoziiert ist
1U¨ber die Anwendung des Begriffs der ”Phase“ auf die beiden enantiomorphen
Formen optisch-aktiver Substanzen vgl. die ausfu¨hrliche Untersuchung von A. Byk,
Zeitschr. f. phys. Chemie 45, 465, 1903.
2Diese Definition der ”unabha¨ngigen Bestandteile“ eines Systems reicht fu¨r alle Fa¨lle
aus, in denen es sich um einen wahren Gleichgewichtszustand handelt, d. h. um einen
solchen, welcher fu¨r alle denkbaren Vera¨nderungen des Systems der Gleichung (76)
genu¨gt.
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Buch Vorlesungen über Thermodynamik"
Vorlesungen über Thermodynamik
- Titel
- Vorlesungen über Thermodynamik
- Autor
- Max Planck
- Verlag
- VEREINIGUNG WISSENSCHAFTLICHER VERLEGER WALTER DE GRUYTER & CO.
- Ort
- Berlin und Leipzig
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Seiten
- 284
- Schlagwörter
- Theoretische Physik, Wirkungsquantum, Nobelpreis, Wärme, Temperatur, Hauptsatz, Systeme, Mathematik
- Kategorien
- Lehrbücher
- Naturwissenschaften Physik
Inhaltsverzeichnis
- Erster Abschnitt. Grundtatsachen und Definitionen 2
- Zweiter Abschnitt. Der erste Hauptsatz der Wärmetheorie 34
- Dritter Abschnitt. Der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie 70
- Vierter Abschnitt. Anwendungen auf spezielle Gleichgewichtszustände 113
- Erstes Kapitel. Homogenes System 113
- Zweites Kapitel. System in verschiedenen Aggregatzuständen 127
- Drittes Kapitel. System von beliebig vielen unabhängigen Bestandteilen (Komponenten) 165
- Viertes Kapitel. Gasförmiges System 199
- Fünftes Kapitel. Verdünnte Lösungen 212
- Sechstes Kapitel. Absoluter Wert der Entropie. Theorem von NERNST 253