Seite - 7 - in Tonka
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Aber wohin führen solche Gedanken?! Sie war ja doch an einem Zaun
gestanden damals, vor der dunkel offenen Tür eines Häuschens, des ersten im
Dorf gegen die Stadt zu, trug Schnürstiefel, rote Strümpfe und bunte, breite,
tiefe Röcke, schien, während sie sprach, nach dem Mond zu sehen, der blaß
über dem gemähten Korn stand, antwortete schlagfertig scheu, lachte, fühlte
sich im Schutz des Mondes, und der Wind blies so sanft über die Stoppeln, als
müßte er eine Suppe kühlen. Am Heimritt hatte er noch zu seinem
Kameraden, dem Einjährigen Baron Mordansky, lachend gesagt: »Ich würde
schon gern mit so einem Mädel etwas haben, aber es ist mir zu gefährlich; als
Schutz gegen Sentimentalität müßtest du mir versprechen, Hausfreund zu
werden.« Und Mordansky, der bereits Volontär in der Zuckerfabrik seines
Onkels gewesen war, hatte darauf von der Rübenernte erzählt, wo Hunderte
solcher Bauernmädchen auf den Fabriksfeldern arbeiten und sich den
Gutsinspektoren und deren Gehilfen in allem so willig unterwerfen sollen wie
Negersklaven. Und er hatte ganz bestimmt einmal ein solches Gespräch mit
Mordansky abgebrochen, weil es ihn verletzte, aber das war doch nicht
damals gewesen, denn das, was eben wie Erinnerung erscheinen wollte, war
schon wieder das später gewachsene Dornengerank in seinem Kopf. In
Wahrheit hatte er sie zum erstenmal am »Ring« gesehen, jener Hauptstraße
mit den steinernen Lauben, wo die Offiziere und die Herren von der
Regierung an den Ecken stehen, die Studenten und jungen Kaufleute auf und
ab wandeln, die Mädel nach Geschäftsschluß oder die neugierigeren auch
schon in der Mittagspause Arm in Arm zu zweien und dreien durchziehen,
manchmal einer der Rechtsanwälte langsam und grüßend sich
hindurchschieben läßt, ein Stadtverordneter oder auch ein angesehener
Fabrikant, und sogar Damen nicht fehlen, die ihr Heimweg von den
Einkäufen just vorbeiführt. Dort hatte ihn plötzlich ihr Blick in die Augen
getroffen, ein lustiger Blick, nur ein Sekündchen lang und wie ein Ball, der
aus Versehen einem Vorübergehenden ins Gesicht flog, im Nu von einem
Wegschauen gefolgt und einem geheuchelt arglosen Ausdruck. Er hatte sich
rasch umgedreht, denn er dachte, nun würde das Kichern folgen, aber Tonka
ging mit geradem Kopf, fast erschrocken; sie ging mit zwei andern Mädchen,
war größer als sie, und ihr Gesicht hatte, ohne schön zu sein, etwas Deutliches
und Bestimmtes. Nichts darin hatte jenes Kleine, listig Weibliche, das nur
durch die Anordnung wirkt; Mund, Nase, Augen standen deutlich für sich,
vertrugen es auch, für sich betrachtet zu werden, ohne durch anderes zu
entzücken als ihren Freimut und die über das Ganze gegossene Frische. Es
war seltsam, daß ein so heiterer Blick saß wie ein Pfeil mit einem
Widerhaken, und sie schien sich selbst daran wehgetan zu haben.
Das war nun klar. Sie war also damals in dem Tuchgeschäft, und es war ein
großes Geschäft, das viele Mädchen für seine Lager angestellt hatte. Sie
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Buch Tonka"
Tonka
- Titel
- Tonka
- Autor
- Robert Musil
- Datum
- 1922
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.8 cm
- Seiten
- 46
- Kategorien
- Weiteres Belletristik