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vom 07.07.2022, aktuelle Version,

Ständestaat (Österreich)

Ständestaatswappen: im Vergleich zum Republikwappen Rückgriff auf den kaiserlichen Doppeladler, Ergänzung durch Heiligenschein, Weglassung der Mauerkrone als Symbol des Bürgertums, des Hammers für die Arbeiterschaft und der Sichel für den Bauernstand

In Österreich wurde das Konzept Ständestaat von den diktatorischen Regierungen Dollfuß und Schuschnigg und ihren Anhängern zur Benennung der autoritären Staatsform von 1934 bis 1938 verwendet. Offiziell hieß der Staat zwischen der „Maiverfassung“ vom 1. Mai 1934 und dem „Anschluss“ im März 1938 Bundesstaat Österreich, diese Epoche der österreichischen Geschichte wird auch als Austrofaschismus bezeichnet.

Doppeladler mit Heiligenschein am 1937 eröffneten Gebäude der HTBLuVA Bregenz
Doppeladler auf der 5- Schilling-Münze von 1934

Definition

Die Definition des österreichischen Historikers Gerhard Jagschitz fasste 1983 zusammen:

„Der Ständestaat stellt die Summe bürgerlicher Revisions- und Restaurationspolitik gegen das System des November 1918 dar. Seine bestimmenden Faktoren Antimarxismus und Antibolschewismus, Destruktion der parlamentarisch-demokratischen Ordnungsprinzipien, Antiliberalismus und Staatsvorstellungen des politischen Katholizismus mündeten in der Konstruktion eines autoritären, ständisch gegliederten Staates im Rahmen der Maiverfassung des Jahres 1934.“

Gerhard Jagschitz : Der österreichische Ständestaat [1]

Gegen die in der zeitgeschichtlichen Literatur Österreichs häufige Nennung des Ständestaats ohne Anführungszeichen wurde vorgebracht, dass damit eine ideologisch und propagandistisch begründete Selbstbezeichnung distanzlos fortgeführt werde. (Zum Vergleich: Der Begriff „Anschluss“, ebenfalls ein Propagandaterminus der Diktatur, wird neuerdings meist unter Anführungszeichen gestellt.) Zur schärferen Abgrenzung wird der Begriff Austrofaschismus bzw. austrofaschistischer Ständestaat verwendet, der aber wissenschaftlich umstritten ist.

Ideengeschichte

Die Idee eines Ständestaates entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie hatte eine starke antiliberale Stoßrichtung und war als Protest gegen den im Kapitalismus inhärenten sozialen Abstieg traditioneller Berufsgruppen wie Bauern oder Handwerker entstanden.

In Österreich wurde diese Konzeption von Karl von Vogelsang, einem der Ideengeber der Christlichsozialen Partei, vertreten. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war es vor allem Othmar Spann, der solche Ideen propagierte.

Eine starke Stoßrichtung hatte diese Idee gegen die organisierte Arbeiterbewegung: Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten sich innerhalb der „Berufsstände“ gegenübersitzen, um eine selbstständige und ständeübergreifende Gewerkschaftsbewegung zu verhindern. Die Überwindung des Klassenkampfes war ein vordringliches Ziel der Ständestaatsideologen. Der österreichische Ständestaat berief sich auf die Enzyklika Quadragesimo anno von Papst Pius XI.[2]

Auf ähnliche Denkmodelle beriefen sich auch das faschistische Italien sowie die autoritären Regimes in Spanien (Franquismus) und Portugal (Estado Novo).

Entwicklung

Eine parlamentarische Geschäftsordnungskrise, ausgelöst durch den Rücktritt aller drei Nationalratspräsidenten am 4. März 1933, nutzte der christlichsoziale Kanzler Engelbert Dollfuß zu einem Staatsstreich. Seine Regierungspropaganda sprach von der „Selbstausschaltung des Parlaments“, in Wirklichkeit verhinderte er aber dessen Wiederzusammentreten. Bundespräsident Miklas blieb trotz Aufforderung untätig.

Bundeskanzler Dollfuß regierte nach der Ausschaltung des Parlaments auf der Basis des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes aus dem Ersten Weltkrieg, das ihm außerordentliche Vollmachten verlieh. Dabei handelte es sich nicht um den ersten Einsatz des Gesetzes nach dem Krieg: Schon die Regierungen in der Zeit von 1918 bis 1920 hatten es genutzt, obwohl damals ein Parlament bestand, und 1932 war es ebenfalls angewendet worden. Er legte den Verfassungsgerichtshof lahm (die regierungsnahen Richter traten geschlossen zurück), um eine Klage der Abgeordneten zu verhindern, und konnte seine Diktatur in den Februarkämpfen 1934 durch die völlige Ausschaltung der Sozialdemokratie festigen.

Nach Dollfuß’ Ermordung am 25. Juli 1934 im Zuge des nationalsozialistischen Juliputschversuchs wurde Kurt Schuschnigg Bundeskanzler und damit Führer des „Ständestaates“, bis er unter dem politischen und militärischen Druck des NS-Regimes am 11. März 1938 seinen Rücktritt erklärte und den Weg für den „Anschluss“ freimachte.

Unter fortgesetztem Bruch der (nach wie vor geltenden) Bundesverfassung wurde per 1. Mai 1934 eine neue Verfassung (Maiverfassung) erlassen, die vor allem von Otto Ender ausgearbeitet worden war. Es wurde ein „christlich-deutscher Ständestaat“ (es war vom „besseren deutschen Staat“ die Rede) proklamiert, dessen Staatsgewalt von berufsständisch organisierten Kammern ausgehen sollte, die Parlament und Parteien ersetzen sollten.

Der tatsächlich errichtete „Ständestaat“ 1934–38 war jedoch kein Ständestaat im Sinne des Begriffs, sondern höchstens der Versuch, einen solchen zu errichten. In der Zwischenzeit – ob die Bundesregierung subjektiv ernsthaft an der ständestaatlichen Idee festhielt oder nicht, mag offenbleiben – wurde diktatorisch regiert; nicht die Maiverfassung, sondern das Verfassungsgesetz vom 30. April 1934[3] mit seiner Übertragung, so wörtlich, „insbesondere d[er] Zuständigkeit zur Gesetzgebung des Bundes einschließlich der Verfassungsgesetzgebung“ auf die Bundesregierung bildete die Grundlage des Regierungshandelns.

Für die Staatsreform wurde aber von Schuschnigg explizit Odo Neustädter-Stürmer als Bundesminister mit der sachlichen Leitung der die Gesetzgebung über die berufsständische Neuordnung vorbereitenden Tätigkeit der Bundesministerien betraut (10. September 1934–17. Oktober 1935 und 6. November 1936–20. März 1937, Kabinette Schuschnigg I und III). Von den vorgesehenen sieben Kammern – die für den Beginn des maiverfassungsmäßigen Gesetzgebungsverfahrens sämtlich notwendig gewesen wären – wurden nur zwei, die Landwirtschaftskammer und die Kammer für den Öffentlichen Dienst, tatsächlich eingerichtet.

Als Parteiersatz wurde eine Vaterländische Front geschaffen, in der bis 1936 alle Parteien, die nicht verboten worden waren, zusammengefasst wurden – danach wurde jedwede politische Opposition verboten. Dem Regime standen Sozialdemokraten, Kommunisten, Liberale und Nationalsozialisten feindlich gegenüber. Dies hatte nicht zuletzt mit seinen massiven Versuchen einer Rekatholisierung der der Kirche entfremdeten Arbeiter- und Mittelschichten zu tun (forcierter Kirchenbau in Arbeitervierteln, etwa im Sandleitenhof, institutioneller Druck auf die Jugend via Beichtzettel etc.). Das Regime hatte von Anfang an eine schmale gesellschaftliche Basis.

Die politischen Gegner jeder Couleur wurden verfolgt: Im Jänner 1934 wurde das Anhaltelager Kaisersteinbruch mit der Zuweisung von etwa 70 Häftlingen in Betrieb genommen, der Stand an Angehaltenen betrug Anfang April 629 (516 Nationalsozialisten, 113 Sozialdemokraten und Kommunisten). Mit dem 30. April 1934 räumte man dieses Lager, und der Abtransport der Angehaltenen nach Wöllersdorf wurde verfügt.

Politische Symbole

Zum Vergleich: Darstellung des Wappens Kaiser Friedrich III. (1415–1493)

Der Ständestaat verstand sich zwar als Gegner des nationalsozialistischen Deutschland, kopierte es aber (so wie das faschistische Italien) in vielerlei Hinsicht. Auch auf der Ebene der Symbole wurde diese ambivalente Politik betrieben.

Das Kruckenkreuz, Symbol der Vaterländischen Front, wurde als mittelalterliches Symbol – die älteste Darstellung befindet sich auf dem (römisch-deutschen) Reichsschwert – dem Hakenkreuz entgegengesetzt. Die durchgängige Verwendung dieses Propagandasymbols war neu für Österreich.

Der Adler des Ständestaates lehnte sich in Abgrenzung zum einköpfigen, graphisch streng gestalteten Adler des Deutschen Reiches an den Doppeladler des Heiligen Römischen Reiches an. Da Altösterreich den Doppeladler jahrhundertelang geführt hatte, seit Habsburger Kaiser des Heiligen Römischen Reiches wurden, wirkte die Rückkehr zu ihm nostalgisch. Dazu passten die Traditionspflege mit Elementen des kaiserlichen Österreich, die Zulassung von Adelstiteln und die teilweise Rückgängigmachung des Habsburgergesetzes.

Das Bundesheer, 1934 gegen die Sozialdemokraten im Einsatz, 1938 aber nicht gegen den Einmarsch der Wehrmacht aktiviert, da Schuschnigg „kein deutsches Blut vergießen“ wollte, erhielt 1934 (mit Ausnahme der kleinen Luftstreitkräfte) statt der bisher getragenen Uniformen im Stil der Reichswehr solche, die sich stilistisch an die Donaumonarchie anlehnten.

Siehe auch

Literatur

  • Ulrich Kluge: Der österreichische Ständestaat 1934–1938. Entstehung und Scheitern. Verlag für Geschichte und Politik, Wien 1984, ISBN 3-7028-0225-8.
  • Hans Jürgen Krüger: Faschismus oder Ständestaat. Österreich 1934–1938. Dissertation Universität Kiel 1970
  • Erika Kustatscher: „Berufsstand“ oder „Stand“? Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit, Böhlau, Wien 2016, ISBN 978-3-205-20341-4.[4]
  • Otto Naderer: Der bewaffnete Aufstand. Der Republikanische Schutzbund der österreichischen Sozialdemokratie und die militärische Vorbereitung auf den Bürgerkrieg (1923–1934). Ares, Graz 2005, ISBN 978-3-902475-06-0 (zugleich Dissertation Universität Salzburg 2003, 384 Seiten).
  • Anton Staudinger: Zur „Österreich“-Ideologie des Ständestaates. In: Ludwig Jedlicka, Rudolf Neck (Hrsg.): Das Juliabkommen von 1936. Vorgeschichte, Hintergründe und Folgen. Protokoll des Symposiums in Wien am 10. und 11. Juni 1976 (= Theodor-Körner-Fonds. Wissenschaftliche Kommission zur Erforschung der Österreichischen Geschichte der Jahre 1927 bis 1938: Veröffentlichungen. Band 4). Verlag für Geschichte und Politik, Wien 1977, ISBN 3-486-44641-X, S. 198–240.
Commons: Ständestaat  – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Gerhard Jagschitz: Der österreichische Ständestaat 1934–1938. In: Weinzierl, Skalnik: Österreich 1918–1938. 1983, S. 498.
  2. Quadragesimo anno (Memento vom 20. Dezember 2014 im Internet Archive).
  3. BGBl. Nr. 255/1934
  4. Miloslav Szabó: Rezension auf H-Soz-u-Kult, 19. Oktober 2018