Margarete Jarmer, Regine Willenig-Pfeifer: Handwerkskunst von Kopf bis Fuß#
Margarete Jarmer, Regine Willenig-Pfeifer: Handwerkskunst von Kopf bis Fuß au Niederösterreich. Verlag Bibliothek der Provinz Weitra 2014. 288 S., ill., € 38,-
"Handwerk hat goldenen Boden", sagte man einmal. Heute sind viele Gewerbetreibende auf den Hund gekommen, und die Letzten beißen die Hunde. Dennnoch, es gibt sie, diese "Letzten", alte Meister, die ihre Kunst wahren und weitergeben, und junge, die sich dafür begeistern und vielleicht sogar von ihrer Hände Arbeit leben können. Sie betreiben ihre Werkstätten mit Leidenschaft. "Leidenschaft" ist der rote Faden, der sich durch den Prachtband zieht. Zuerst einmal die Leidenschaft der Bildautorin Margarete Jarmer. Als "praktizierende Handwerksmeisterin" hat die gelernte Fotografin den grauen Alltag der Geschäftsleute in farbenfrohe Details verzaubert. Margarete Jarmer ist bekannt als Initiatorin des größten Mittelalterfestes Österreichs in Eggenburg, auch das wäre ohne Leidenschaft undenkbar. Ihr zur Seite steht die Textautorin Regine Willenig-Pfeifer. Die Eventmanagerin ist seit fast zwei Jahrzehnten ehrenamtlich beim "Mittelalterfest Eggenburg" tätig.
Ihr gemeinsames Werk stellt auf rund 280 großformatigen Seiten mehr als 30 Betriebe und Personen vor, die sich in Niederösterreich der Handwerkskunst "von Kopf bis Fuß" verschrieben haben. Es beginnt mit der Kremser Modistin, die für ihre individuellen Kreationen bekannt ist, gefolgt vom Perückenmacher aus Waidhofen an der Thaya - ein Beruf, den man nicht nur als Friseur, sondern auch bei der Ausbildung zum Visagisten lernt. Der Kammmacher, der Horn von Rindern aus Südafrika verarbeitet, führt seine Manufaktur in sechster Generation. Von ihm stammen nicht nur Hornkämme und andere schöne, tragbare Stücke, sondern auch der "Pokal" des Niederösterreichischen Kulturpreises. Nicht ganz so traditionsreich ist die Brillenmanufaktur in Perchtoldsdorf. Sie besteht seit 1979 als Familienbetrieb und nimmt, wie der Kammmacher, auch Computertechnik zu Hilfe. Ebenfalls in die Design-Richtung geht der Goldschmiedemeister aus Weitra, der das Urgestein des Waldviertels zu edlem Granit-Schmuck verarbeitet.
Gerberei war früher kein angesehenes Gewerbe und doch wäre der 1430 gegründete Ritterorden "Vom goldenen Vlies" ohne sie undenkbar. Sein Erkennungszeichen ist ein goldenes Schaffell. Ein Spezialist der Fellgerbung arbeitet in Ybbsitz. Apropos Schaf: Die Handspinnerei in Perchtoldsdorf macht Wolle zu Garn. Das überlässt man besser der Expertin, auch wenn eine Anleitung zum Selbermachen beigegeben ist. Auf das Spinnen folgt das Weben, einst ein traditioneller Waldviertler Beruf. In der Obermühle in Kautzen gibt es eine der letzten gewerblichen Handwebereien. Selten geworden sind auch Taschen aus Fischleder. Eine Manufaktur in Reitzenschlag bei Litschau stellt sie wieder her. Im nächsten Kapitel geht es besonders bunt zu. Die Pflanzenfärberin in Perchtoldsdorf färbt Garne in allen Farben mit Naturmaterialien, und "aus Leidenschaft". Die Stoffdruckerei in Drosendorf ist für ihre Jugenstilornamente bekannt. Handdruck und Naturmaterialien bürgen für Exklusivität. Die Walkmühle in Tiefenbach bei Kautzen hat sich ebenfalls höchsten Qualitätsansprüchen verschrieben. Die Karolinger im 8. Jahrhundert kannten gewalktes Tuch, das dort hergestgellt wird. Was sie nicht kannten, waren Dessous Sie kommen aus einem expandierenden mittelständigen Familienunternehmen aus Wolkersdorf, das sich erfolgreich auf dem europäischen Markt behauptet. Auch die Zwirnknopferzeugung hat sich dem Zeitgeschmack angepasst. Früher gab es nur weiße Zwirnknöpfe, für Wäsche und Bettzeug. Heute werden Spezialanfertigungen in allen Farben geliefert. Eine geübte Arbeiterin der kleinen Firma in Weitra schafft in Handarbeit 1000 Stück in 50 Minuten.
Wer hätte das gedacht: Auch in Niederösterreich gibt es Haute Couture. Der Modedesigner aus Maria Enzersdorf verwirklicht, was für alle vorgestellten Firmen gilt: "Authentische Kreationen aus heimischen Produkten, bodenständig und nachhaltig im achtsamen Umgang mit den wertvollen Werkstoffen aus der Natur." Der Perlmuttdechslerei in Felling bei Hardegg ist ihr Naturmaterial schon längst ausgegangen. In der Thaya gibt es, wie in ganz Europa, keine Flussperlmuscheln mehr. Der Rohstoff kommt aus tropischen Meeren, und auch die Produktpalette hat sich geändert. Nicht mehr die früher millionenfach erzeugten Perlmutterknöpfe stehen auf dem Programm, sondern Schmuckstücke, Geschenkartikel und Spezialanfertigungen. Letztere sind in der Trachtenmode gefragt. Hier wird eine traditionelle Trachtenerzeugung aus Weitra vorgestellt. Klöppelspitze war schon immer ein wertvolles Accessoire. Eine Schremserin pflegt die alte Kunst des Handklöppelns.
Der Säckler ist jener Handwerker, der Lederhosen herstellt. Der Kürschner- und Säcklermeister aus Maria Enzersdorf verwendet das feine Leder von Rothirsch und Reh. Jedes Kleidungsstück ist ein Unikat, entsprechend den Wünschen des Kunden gefertigt. Die Bandweberei in Weiten erzeugt Hosenträger aus gewebten Gummibändern. Die Holzknopfmacherin aus Harmannschlag zählt zu den Kunsthandwerkern. Für jedes Modell sucht sie sich die passende Holzart aus. Kalmuck, ein in Doppelbindung gewebtes Textil , wurde früher aus Leinen und Wolle hergestellt, jetzt aus Baumwolle - oder, nicht gewebt, sondern als Muster aufgedruckt in verschiedenen Qualitäten. Der Stoff kommt jetzt aus Tirol. Doch in der Wachau, wo der Kalmuckjanker die klassische Tracht der Weinbauern war, gibt es ein Modegechäft, das Kalmuckwaren mit viel Phantasie designt. Dabei hat man sich dem "Upcycling" verschrieben. Was beim Zuschneiden abfällt, wird nicht weggeworfen, sondern patchworkartig verwendet. Zwölf Arbeitsschritte sind nötig, bis in der Gürtelmacherei in Weiten ein Ledergürtel fertig ist.. An Phantasie herrscht kein Mangel, und schon die Schnallenkollektion ist beeindruckend. Noch einmal ist Walkmode das Thema. Eine Tullner Schneiderin fertigt hochwertige Damenmode und Trachten aus Walkstoffen nach Maß: "So wurde das gewalkte Tuch zu einem raffiniert kreativen Stoff - stylisch und trotzdem alltagstauglich." Ein Uhrmachermeister aus Perchtoldsdorf hat sich auf das Restaurieren antiker Uhren spezialisiert. Uhren hatten ebenso symbolische Bedeutung wie Handschuhe, die seit dem Mittelalter gewerblich hergestellt werden. Einer der letzten Handschuhmacher Österreichs hat seinen Betrieb in Wiener Neustadt. Aufwändige Kreationen aus Pelz entstehen in Waidhofen an der Ybbs. Für einen Mantel braucht der Kürschnermeister bis zu 90 Arbeitsstunden. Eine der wenigen österreichischen Strumpffabriken besteht in Heidenreichstein. Strümpfe,Socken, Leggings usw. zählen zu den Strick- und Wirkwaren. EineFeinstrumpfhose besteht aus zwei Millionen Maschen, wofür man fünf bis sechs Kilometer Garn verbraucht. Die Schirmmacherei war durch eine männlich-weibliche Arbeitsteilung chrakterisiert. So hält man es auch, nachdem es den Lehrberuf seit 30 Jahren nicht mehr gibt. Männer fertigen das Schirmgestell, Frauen nähen die Bespannung. So konnten ein Mann und drei Frauen in 70 Minuten zehn Schirme herstellen. Besuche in der Schuhmanufaktur in Schrems und einer Schusterei in Langenlois, beschließen den Rundgang zum Handwerk, das die Käufer von Kopf bis Fuß" begleitet. So lernt man nicht nur fast vergessene Gewerbe und interessante Menschen kennen, sondern bekommt in den informativen Texten auch gleich eine Kulturgeschichte mitgeliefert. Jeder Artikel beginnt historisch und beschreibt dann die Arbeit in der jeweiligen Firma.