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Wir l(i)eben Autos#

Autofahrer sollen die Kontrolle an künstliche Intelligenzen abgeben. Eigentlich macht das keine Freude.#


Von der Wiener Zeitung (Dienstag, 6. Dezember 2016) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Eva Stanzl


autofahren
Ein super Fahrgefühl werden Roboter hinterm Steuer vermutlich nicht haben.
Foto: © EpicStockMedia/fotolia

Ein paar Tage frei, ein voller Tank, den Schlüssel umdrehen und starten. Triest und das blaue Meer sind nur fünf Stunden entfernt, die Schönheit Venedigs nur sieben, die Wachau eine und die Schweiz neun: Die Freiheit der Welt liegt unter den vier Rädern. Es ist die Freiheit der Wahl und die Freiheit, das Gefühl Fernweh jederzeit stillen zu können und zu fahren, wohin es einen zieht. Eigenständig in seinem eigenen rollenden, erweiterten Wohnzimmer.

Der Mensch lenkt und das Auto fährt. So schnell oder so langsam und wohin sie oder er es will. Der Mensch trägt die Verantwortung, er kontrolliert. Das ist die Idee des Automobils und ein Grund für seinen weltweiten Siegeszug. Es geht um Verantwortung für sich selbst und das Gefühl, die Kontrolle haben zu können, um die Welt in den Händen zu halten. Autofahren kann super sein, in den Sonnenuntergang führen und ein tolles Fahrgefühl bringen. Manchmal ist es auch langweilig, manchmal entspannend, manchmal gesellig oder von Musik begleitet. Aber immer beruht es (idealerweise) auf einem ruhigen, konzentrierten Prozess, der zum Ziel führt. Und das macht Freude.

Nun aber sollen die Autofahrer die Kontrolle abgeben. Nachdem das Automobil die Kutsche verdrängte und sich vom Fortbewegungsmittel für Wohlhabende schließlich zum individuellen Verkehrsmittel für alle entwickelte, sollen wir das Steuer aus der Hand geben und von Fahrern zu Passagieren werden.

Politiker, Automobil- und Technologiekonzerne präsentieren diese Perspektive wie eine Selbstverständlichkeit und verkaufen das Diktat des technologischen Wandels als Vorteil für alle. Die EU-Kommission digitalisiert Straßen-Infrastrukturen und will die Fahrzeuge so weit vernetzen, dass diese per Funk untereinander ausmachen, wie sie möglichst stauvermeidend dahinrollen. EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc will in den kommenden drei Jahren eine Strategie namens "Cooperative Intelligent Transport Systems" umsetzen: Ab 2019 sollen Menschen am Steuer immer seltener werden und irgendwann wohl Nostalgie sein, so wie das Plakat vom Marlboro-Mann.

Die Argumente der Befürworter haben auf den ersten Blick durchaus etwas Verlockendes. Denn ein Dasein als Passagier spart enorm viel Zeit: Statt im Stau zu stehen, kann er Sinnstiftendes tun. Lesen zum Beispiel, Sprachen und Musikinstrumente erlernen, oder arbeiten oder in Ruhe telefonieren. Auch hochbetagte Mitbürger hätten stets so etwas wie einen Chauffeur und wären länger uneingeschränkt mobil. Und last but not least und am wichtigsten: Auf den Straßen wäre menschliches Versagen ausgeschaltet.

Digitale Unfallvermeidung#

Das Problem ist nur: Autonome Kraftfahrzeuge nehmen dem Autofahren jeglichen Spaß. Denn wer will in Wirklichkeit von einem unsichtbaren Chauffeur täglich spazieren gefahren werden, wenn ihm beim Lesen am Rücksitz sowieso schlecht wird? Das Steuer an einen Roboter abzugeben, hat etwas von ewigem Serienschauen in einer lauwarmen Badewanne, während im Hintergrund leise Lounge-Musik läuft.

Zudem ist völlig offen, ob die Technik hält, was derzeit von ihr versprochen wird. So stellen die Autokonzerne in Aussicht, dass autonome Wägen ab einer bestimmten Serienreife im Prinzip unfallfrei fahren sollen. Sensoren, Scanner und Kameras, die im Millisekundenbereich reagieren, sollen ununterbrochen und unermüdlich die Umgebung abtasten und die Technik so früh auf Fahrzeuge vor ihr regieren, dass Auffahrunfälle vermieden werden. Car-to-Car-Verbindungen sollen sogar Informationen austauschen und einander warnen, wenn hinter einer uneinsichtigen Kurve ein Hindernis ist. Unsichere oder betagte Autofahrer wären dann vor ihren eigenen Fehlern geschützt, höhere Gewalt hätte auf den Straßen kaum eine Chance.

Vorerst zeigt die Erfahrung allerdings nur, dass Computerausfälle katastrophal ausgehen können. Einen Technik-Absturz bei 130 Stundenkilometern auf der Autobahn ohne die Möglichkeit, einzugreifen, wünscht sich mit Sicherheit niemand. Zudem gibt eine künstliche Intelligenz, die zwischen anderen autonomen Fahrzeugen, Gegenständen und Menschen keinen Unterschied macht, keinen praxistauglichen Steuermann ab. Wer stur jedes Hindernis gleich behandelt, verfolgt keine Ethik auf der Basis der Menschenrechte. Ethik hat immer mit Eigenverantwortung zu tun - nicht mit dem Abgeben von Verantwortung und dem Rückzug auf die hinteren Reihen.

Im Auto hat der Fahrer im äußersten Fall die Verantwortung über Leben und Tod. Er muss ausgeschlafen sein, nüchtern und konzentriert, um er bei einem Unfall augenblicklich das Schlimmste verhindern zu können. Was das ist, hängt von den Umständen ab. Wie aber erkennt ein Algorithmus die Umstände richtig? Nach welchen Maßstäben soll er entscheiden - ohne Konzept von der Würde des Menschen? Und wie kann er wissen, was richtig ist: Ein über die Straße rennendes Kind zu retten oder die vier Pensionisten, die seine Insassen sind?

Die neue Technologie bringt nicht nur bis dato ungekannte ethische Konflikte, sondern auch ethisch zweifelhafte Geschäftsmöglichkeiten. "Wenn Mercedes Benz erklärt, seine autonomen Autos werden im Ernstfall immer der Rettung der Insassen den Vorrang geben, klingt das ethisch recht anrüchig. Versucht hier ein Konzern, sich mit moralisch bedenklichen Vorteilen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen?", stellt Roberto Simanowski, Professor für Digital Media Studies an der City University in Hongkong, in einem Beitrag in der "Neuen Zürcher Zeitung" zur Debatte: "Sobald über diese Seite der Algorithmen gesprochen wird, scheint keine andere Lösung denkbar als der Egoismus."

Moralische Unschärfen#

Die Gefahr des moralischen Niedergangs ist nicht der einzige ernsthafte Einwand gegen selbstfahrende Autos. Denn schon die Umstellung könnte Chaos auslösen. Österreichs "Aktionsplan automatisiertes Fahren" sieht vor, dass sie in Stufen erfolgen soll. Derzeit laufen Teststrecken und wenn alles gut geht, sollen selbstfahrende Autos folgen, bei denen der Fahrer bestimmt, wann er fährt und wann er die Kontrolle an den vernetzten Computer abgibt. In einer weiteren Stufe ist ein gemischter Verkehr mit selbstgesteuerten und autonomen Fahrzeugen denkbar.

Und der Mensch? Womöglich zielt der Etappen-Plan auch darauf ab, dass er sich an die fehlende automobile Freiheit gewöhnt, und immer mehr automatisierten Fahrzeugen Platz einräumt. Und irgendwann wird eine kritische Masse erreicht sein, ab der der Mensch die Car-to-Car-Communication nur noch stört. Dann wenn in einem Orchester von Fahrzeugen alle auf einander abgestimmt Gas geben oder bremsen, kann nicht irgendjemand, nur weil er lustig ist, den Ton ändern und Gummi geben. Die Folge wären Zusammenstöße oder es müssten alle ihre Routen verändern.

Zukunft der Stadt#

Eine Vision für die Zukunft der Stadt ist, dass niemand ein eigenes Auto besitzt, sondern Fahrzeuge wie rollende Mietdroschken permanent in Bewegung sind. Wer ein Auto will, ruft sich eines über das Smartphone. Ob dann eine Zwangsverordnung folgt, die Busse und Züge zu nutzen, muss sich weisen. "Es ist natürlich überflüssig, wenn 20 selbstfahrende Autos in die Innenstadt rollen, wo das Ganze mit nur einer Straßenbahn erledigt werden könnte", argumentiert der Autor Guido Bellberg in der Online-Ausgabe der Zeitung "Die Welt".

In 50 Jahren wird nicht jeder ein Auto haben, sondern nur wenige oder keiner. Wer fahren will, wird einen Wagen bestellen und als überwachter Insasse einsteigen. Denn das Auto wird so wie das Smartphone alle Wege aufzeichnen. "Autonome Autos gehören genauso wie smarte Häuser oder Gesundheitsarmbänder zur Umgebungsintelligenz. Sie erfassen und kommunizieren Daten und die Frage ist: Was geschieht damit?", hebt die deutsche Komplexitätsforscherin Yvonne Hofstetter hervor. In ihrem neuen Buch "Das Ende der Demokratie" liefert sie Argumente dafür, dass eine digitale Diktatur entsteht, zu der auch die smarten Autos zählen, die über das Internet der Dinge vernetzt sind.

"In der Digitalisierung wird die Gesellschaft durch Technologien gestaltet", erklärt Hofstetter. Niemand wurde gefragt, ob er das will, es wurde nicht demokratisch abgestimmt, "aber die Geräte, die wir als Lifestyle nutzen, und dazu zählen auch die intelligenten Autos, ermöglichen die völlige Überwachung: Sie erheben Messdaten aus der Gesellschaft, speichern Daten und analysieren sie, um Prognosen zu erstellen, mit denen steuernd in die Gesellschaft eingegriffen wird."

Die Freiheit, selbst zu entscheiden, haben wir somit abgegeben. In Zukunft können wir in geborgten Wägen auf der Westautobahn von Wien nach Salzburg auf dem iPad die "Wiener Zeitung" lesen, oder wie heute die Autokennzeichen vor uns anschauen. Oder die Überlegung anstellen: Wenn es wenigstens nur Elektroautos wären, dann würde das Ganze immerhin für die Umwelt Sinn ergeben. Und dann können wir sehnsüchtig an die Zeiten denken, in denen der Opel-Slogan "Wir leben Autos" noch eine Wirklichkeit war, und uns vorstellen, unser Cabrio in Richtung Sonnenuntergang zu lenken.

Wiener Zeitung, Dienstag, 6. Dezember 2016

Weiterführendes#


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