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Kunst und Konzentration#

(Momente und Prozesse)#

von Martin Krusche

Was wissen wir, bezogen auf die Kunst, über die Geschichte menschlicher Gemeinschaft? Unter den Jägern und Sammlern gab es die Befassung mit Kunst längst bevor sich die Bauernschaft herausgebildet hatte. Das meint Malereien und kultische Gegenstände als Manifestation von symbolischem Denken. Denkweisen, die sich einem bestimmten Denksystem der Spezies verdanken. Das hat emotionale Bedingungen und drückt ästhetische Erfahrungen aus, also Wahrnehmungserfahrungen.

Der Rohbau als Leinwand für eine Markierung. (Foto: Martin Krusche)
Der Rohbau als Leinwand für eine Markierung. (Foto: Martin Krusche)

Wer das Anfertigen oder das Rezipieren von Kunstwerken für ein Freizeitvergnügen hält, welches unseren praktischen Fertigkeiten untergeordnet sei, hat nicht begriffen, was die Fundamente des Menschseins ausmacht. Wer die Kultur als Nebenschauplatz unseres Daseins betrachtet, verdreht so manche Kausalkette.

Seit einiger Zeit kennen wir sehr alte Artefakte, die symbolisches Denken repräsentieren. Gegenstände, welche vor über siebzigtausend Jahre angefertigt wurden. Eine unfaßbare Zeitspanne. Ferner wurzelt die Architektur (als Baukunst) nicht in der Wohnraumbeschaffung, sondern im Kultischen. Als ältester Beleg dafür gilt die Anlage von Göbekli Tepe, nahe der türkischen Stadt Şanlıurfa. Eine steinzeitliche Fundstelle, die auf wenigstens zehntausend Jahre datiert wird.

Ich erwähne diese Dinge, weil jede unserer Alltagshandlungen, weil alle unseren nützlichen Dinge und die praktisch anwendbaren Möglichkeiten ihre Wurzeln in dieser tieferen menschlichen Klugheit haben, die sich eben an manchen Stellen einer Gesellschaft auch als Fähigkeit zur Kunstpraxis zeigt.

Ich weiß, daß Kunst gerne als Sonderfall menschlichen Tuns betrachtet wird, als ein Orchideenfach, dem oft Motive unterstellt werden, die nicht von allgemeiner Relevanz seien. Das ist eine merkwürdige Umkehrung dessen, was das geistige Leben von Gemeinschaften unterstreicht; jenes geistige Leben, ohne das Entwicklung nicht stattfinden könnte.

Eros#

Als ich im Jahr 2003 das Langzeitprojekt „The Long Distance Howl“ begonnen hab und auf 20 Jahre anberaumte, gehörte der „Grid of Books“ zu einem der Teilbereiche dieses Vorhabens. Ich hatte Gleisdorf als primären Raum einer Bühne definiert, die von mir längerfristig bespielt würde, um mit einer „Art Under Net Conditions“ direkt in das regionale Leben eingreifen zu können.

Das meint etwa, Prozesse zu initiieren und Geschichten zu erzählen, die nur sekundär an üblichen Orten der Kunstpräsentation verankert sein würden, primär aber einen Effekt in der regionalen Gesellschaft erzeugen sollten. (Eine Beispiel dafür ist das Aprilfestival, welches nun offenbar nach fast einem Jahrzehnt an das Ende seiner Möglichkeiten gekommen ist; siehe: Der Text.)

Die Mauer und die Schrift. (Foto: Martin Krusche)
Die Mauer und die Schrift. (Foto: Martin Krusche)
Das Terrain und die Mauer. (Foto: Martin Krusche)
Das Terrain und die Mauer. (Foto: Martin Krusche)

Über den „Grid of Books“ verband ich die Welt des Lesens und der Bücher mit dem öffentlichen Raum. Ich lud Personen ein, ausgewählte Zitate umzusetzen, schrieb wahlweise selbst Zeichen an so manche Wand.

Im August 2007 stand schon der Rohbau des Gleisdofer Service-Centers als einer Erweiterung des alten Rathauses und bot mir Gelegenheit für eine Markierung. Dort sollte ein Teil der städtischen Verwaltung Platz finden und ein großer Sitzungssaal eingerichtet werden. Der Neubau wurde mit dem alten Rathaus durch einen unterirdischen Gang verbunden. In seinen Kellerräumen sollte ein Archiv der Stadt etabliert werden; so kam es auch.

Es schien mir passend, diesen Rohbau mit einem Zitat aus Platons „Symposion“ zu belegen, denn das Gastmahl ist ein grundlegendes Werk über die Bedeutung des Eros, der historisch ja nicht bloß sexuell konnotiert ist. Eros ist das Verlangen nach dem Entbehrten, egal, welchen Lebensbereich es betrifft. Eros ist die Quelle unserer Wißbegier, des Tatendranges.

Das Zitat handelt von Eryximachos, wie er Alkibiades augenzwinkernd fragt, ob sie einfach nur saufen wollen wie durstiger Pöbel, oder ob sie gepflegt trinken und das Leben wie den Eros preisen sollten. „Also wie jetzt?“ scheint Eryximachos zu fragen und Alkibiades erwidert: „Ganz wie du es befiehlst, dir muß man ja gehorchen.“

Umbau, Umbruch#

Im Zuge der Innenstadt-Entwicklung war das Gleisdorfer Rathaus selbst renoviert worden. Es hatte seit seiner Erbauung in den frühen 1890er Jahren (unter Bürgermeister Richard Mayr) keine so grundlegende Revision mehr erfahren. Dann war ein alter Mietvertrag gefallen, durch den davor der Keller des Gebäudes lange Zeit extern als Lagerraum vergeben blieb. So entstand neuerdings die Möglichkeit, das „Museum im Rathaus“ als einen wichtigen Ausstellungsraum der Kleinregion Gleisdorf zu schaffen.
Zwei Arbeiten von Helmut Rabel. (Foto: Martin Krusche)
Zwei Arbeiten von Helmut Rabel. (Foto: Martin Krusche)

Am 11. Jänner 2014 fand dort jene Vernissage zu einer Ausstellung von Fotograf Helmut Rabel statt. Kunstsammler Alexander Rainer eröffnete diese Ausstellung. Da gab es unter anderem eine großformatige Arbeit, die vielen gefallen hätte, aber ich hab sie bekommen.

Harald Ritonja, damals wie heute im Dienst der Stadt, fragte mich später, ob ich der Gemeinde die erwähnte Fotografie als Leihgabe zur Verfügung stellen würde. Ritonja setzt sich über viele Jahre hinweg dafür ein, daß es im Gleisdorfer Service-Center relevante Kunstwerke zu sehen gibt.

Da liegt der Schwerpunkt nicht auf ambitionierten Hobbyarbeiten, wie sie das soziale Leben der Region bereichern, sondern auf den Ergebnissen konsequenter künstlerischer Arbeit im Sinn der Gegenwartskunst. Diese Unterscheidung wird nicht bloß gerne ignoriert, sondern stellenweise auch bewußt verwischt. Nun steht zwar der persönliche Nutzen des kreativen Tuns außer Frage, wenn jemand künstlerische Techniken erlernt und anwendet. Aber das, ohne entsprechende Intention und inhaltliche Arbeit, ergibt kaum Kunstwerke. Es fällt eher unter Bastelei.

Daher ist eine grobe Orientierung im Kulturbereich und eine Unterscheidung der verschiedenen Genres hilfreich, wenn man klären möchte, wofür verfügbare Ressourcen eingesetzt werden sollen. Darin liegen auch kulturpolitische Aufgaben.

Kunstliebhaber Harald Ritonja (rechts) und Handwerker Christian Wurm. (Foto: Martin Krusche)
Kunstliebhaber Harald Ritonja (rechts) und Handwerker Christian Wurm. (Foto: Martin Krusche)

Aisthesis#

Wenn also das Gleisdorfer Service-Center in seinen Gängen wie in etlichen Büros Werke der Gegenwartskunst zeigt, dann ist das ein wesentlicher Beitrag zum geistigen Leben in der Region, auch ein kulturpolitischer Akzent, der freilich Sachverstand und Emotion verlangt.

Weshalb? Die unbedarfte Bastelarbeit nützt der bastelnden Person. Sie dient der individuellen Erbauung, ist also Privatangelegenheit. Sie hat nur in seltenen Fällen die Kraft einer speziellen Anregung, ist auch kaum je Gegenstand geistiger Prozesse. Das unbedarfte Basteln ist eine private Bereicherung des Individuums. Es kann aber, wenn es öffentlich gezeigt wird, der Person einen Gewinn an Sozialprestige einbringen und ist überdies Anlaß für soziale Ereignisse. So weit, so gut.

Die Kunst hat ein anderes Spektrum von Anlässen und Wirkungen. Darum ist sie auch Gegenstand politischer Prozesse, denn Politik ist in der Geschichte Europas seit jeher ein Wechselspiel zwischen Staatskunst und Gemeinwesen, also zwischen Funktionärswelt und Zivilgesellschaft.

Das personelle Besetzen und schließlich Verwalten einer Kommune verlangt sehr viele praktische Fähigkeiten. Doch das geistige Leben und die Zukunftsfähigkeit einer Gemeinschaft bezieht sich zu erheblichen Stücken aus anderen Zusammenhängen. Wenn daher in einem öffentlichen Gebäude konsequent Kunstwerke statt Bastelarbeiten gezeigt werden, ist das ein Beitrag zu günstigen Entwicklungen.

Dieser Nutzen kommt unter andrem daher, daß wir ständig Wahrnehmungserfahrungen machen, welche sich so oder so auswirken. Also ästhetische Erfahrungen. Das Wort Ästhetik leitet sich vom griechischen Aisthesis her. Dessen Gegenteil ist die An-Aisthesis, die Anästhesie, also die Betäubung.

Abgehängt: Harald Ritonja hat den Rabel mit einer Arbeit von Michaela Knittelfelder-Lang ersetzt. (Foto: Martin Krusche)
Abgehängt: Harald Ritonja hat den Rabel mit einer Arbeit von Michaela Knittelfelder-Lang ersetzt. (Foto: Martin Krusche)

Rückweg#

Ich hab, wie erwähnt, das Service-Center im Jahr 2007 mit Platon markiert. Ich hab Harald Ritonja 2013 die Arbeit von Rabel als Leihgabe überlassen. Seit damals hing sie im Obergeschoß des Gebäudes. Nun, 2019, bat ich ihn um Rückgabe des Bildes. Wir haben eben Fokus Freiberg: Nächste Spuren"(Drei Tage im November) absolviert. Damit endet erkennbar eine Ära im Raum Gleisdorf.

Nun möchte ich in meinen privaten Räumen ein paar Arbeiten von dieser Veranstaltung sowie eine Marylin-Paraphrase vom SPLITTERWERK hängen, den vorherigen Bestand an meinen Wänden ändern. Daher bat ich Ritonja, Ersatz für die großformatige Fotografie zu besorgen, weil ich das Bild abholen wollte. Die Marylin steht übrigens in einem speziellen Zusammenhang. Siehe dazu: Das hoch gelegene Extrazimmer (Der Project Space des SPLITTERWERK)

Allerhand anstehende Entscheidungen. (Foto: Martin Krusche)
Allerhand anstehende Entscheidungen. (Foto: Martin Krusche)

Zum nächsten Impuls im Service-Center wurde nun „Running Susi“, eine großformatige Arbeit von Michaela Knittelfelder-Lang. Bliebe noch anzumerken: Schauen Sie im Service-Center vorbei. Es könnte so gesehen zu einer der interessantesten Galerien der Region werden, deren Flächen sich eignen, deren zentrale Lage und Öffnungszeiten vorzügliche Eigenschaften sind. Nicht als Ramschladen für beliebige Bastelarbeiten, sondern als ein Angelpunkt für ernsthafte Anregungen.

Weiterführend#