Kreuzweg: Perspektivenwechsel#
(Eine Erkundung)#
von Martin KruscheIch halte den Kreuzweg für eine zentrale Erzählung innerhalb Europas Mythologie. Da sind nun einige Gründe, dieses Narrativ aufzugreifen, aber auch eine Notwendigkeit, mich mit anderen Menschen darüber zu verständigen. Prompt hat sich schon nach kurzer Zeit gezeigt, wo ich beim Nachdenken über diese Erzählung falsch abgebogen bin. Ich hatte dabei eine Leidensgeschichte im Blick, wie sie sich ereignet und auflöst, um daran das Exemplarische zu verstehen. Außerdem komme ich an diesem „Ecce homo“ nicht vorbei. Wie ich in einer vorangegangenen Notiz schon erwähnt habe, Zitat:
Den Kreuzweg betreffend sehe ich einen speziellen Aspekt in dem, was uns das ursprünglich griechisch verfaßte Johannesevangelium hinterließ, diesen Ausruf „idoù ho ánthropos“, was im Lateinischen dann mit „Ecce homo“ notiert wurde und etwa „Siehe, der Mensch“ bedeutet. Was also meint heute diese Zuschreibung „der Mensch“?
Solchen Zusammenhängen galt jüngst mein Treffen mit Gleisdorfs Pfarrer Giovanni Prietl, der Organistin Maria Suntinger, Kammerschauspieler Franz-Robert Wagner und Fotograf Richard Mayr.
Meine Annahme#
Ich hab den Kreuzweg Jesu profan und politisch gedeutet. Dieser Wanderprediger, einer von etlichen in jenen Tagen, fand durch seine Worte eine nennenswerte Gefolgschaft. Dadurch kollidierte er mit den Interessen und Konventionen der ansässigen jüdischen Gemeinde in einem römisch besetzten Land. Eine sozial wie politisch brisante Situation.Roms Statthalter Pontius Pilatus hatte, nach einigen Unebenheiten in der Entwicklung, mit dem jüdischen Oberhaupt eine halbwegs stabile Situation erreicht. Kaiphas reagierte aber sehr gereizt auf diesen Jesus. Das konnte der Statthalter nicht ignorieren, denn sein Kaiser hatte zuvor schon von ihm wegen einiger Unruhen Rechenschaft über den Stand der Dinge verlangt.
Pontius Pilatus, als Politiker vermutlich eher pragmatisch, als gerichtliche Instanz scheinbar ein Hardliner, kam zum Schluß, daß er hart durchgreifen müsse. Hätte Jesus fliehen können, um der Strafverfolgung zu entkommen? Es scheint so. Aber stattdessen ließ er seine Gefangenname zu und lieferte sich einem Maximum an Gewalt aus. (Folter und Kreuzigung sind an Grausamkeit nicht zu übertreffen.)
Pontius Pilatus versuchte noch, die Angelegenheit unter Verzicht auf ein ordentliches Verfahren etwas zu planieren. Es wurde dabei bloß schlimmer. Das habe ich als den Rahmen gedeutet, in dem Jesus einen rebellischen Akt setzte, nicht bloß die lokalen Autoritäten herausforderte, sondern im Statthalter auch das Imperium Romanum.
Dabei blieb für mich eine fundamentale Frage offen, die ich nicht beantworten konnte: Weshalb sollte Jesus das tun und gegen diese irdische Macht rebellieren? Das war laut Johannes nicht der Fall. Zitat: „Pilatus antwortete: Bin ich ein Jude? Dein Volk und die Hohenpriester haben dich mir überantwortet. Was hast du getan? Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“
In der Bergpredigt hatte Jesus - in einem anderen Zusammenhang - betont: „Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten.“ (Kapitel 6)
Perspektivenwechsel#
Das ist politisch anregend. Jesus hatte also mit irdischen Autoritäten nichts zu klären. Im Kapitel 7 findet sich eine Aussage, die Rebellion irrelevant erscheinen läßt. Zitat: „Bittet, so wird euch gegeben, suchet, so werdet ihr finden, klopfet an, so wird euch aufgetan.“ Was also hat sich da ereignet? Mit welchen Intentionen? Weshalb ist es so gekommen und nicht anders?Gleisdorfs Pfarrer Giovanni Prietl hat mir eine Antwort geboten, durch die sich – wie mir scheint – eine ganz andere Dimension aufmacht. Anlaß für (m)einen Perspektivenwechsel. Daß Jesus sich ausgeliefert hat und diesen konkreten Leidensweg ging, der uns in der Darstellung als Kreuzweg überliefert ist, war eben keine Rebellion, sondern eigentlich das Gegenteil davon, aber zu einer anderen Instanz hin; nämlich eine andere Ordnung akzeptierend und eine Weg ebnend.
Prietl: „Er brachte ein Opfer, das von Gott angenommen wurde.“ Wozu? „Um das mit dem Leiden zu beenden.“ Damit ist nicht etwa körperliches Gebrechen gemeint, das uns die Natur mitunter auferlegt, da wir körperlich und sterblich sind. Das meint Leiden, wie es Menschen einander zufügen, wo sie auf Kosten anderer um Möglichkeiten ringen.
Hatte ich es richtig verstanden? Schluß mit den Grobheiten, über die man etwas erreichen möchte. Weder sollte oder muß man das Leiden suchen, noch sollte man es anderen zufügen, um sich damit auf irgendein Weise zu qualifizieren. Jesus hat dazu einen deutlichen Schlußpunkt gesetzt.
Daher ist gemeint, daß er sich geopfert und die Sünden der Menschheit auf sich genommen habe, um eine Absage an Grobheiten zu erreichen. Und das äußerst radikal, mit der demonstrativen Unterwerfung unter ein weltliches Strafgericht, dessen Anmaßung, Grausamkeit und völlig überzogene Maßnahme offensichtlich ist.
Eine Demaskierung menschlichen Fehlverhaltens, was den Richter meint, der das ordentliche Verfahren außer Acht läßt, wofür das römische Recht ausreichend kodifiziert war, was bis zu den Folterknechten, den zynischen Schergen und zum johlenden Pöbel reicht. So zumindest das Narrativ, wie ich es nun verstehe.
„Aber was bleibt uns hinter dieser Markierung?“ fragte ich Prietl, denn wir sehen ja laufend, was uns umgibt, womit zu ringen wäre. Der Pfarrer antwortete lapidar: „Die Liebe zu leben.“ Da hab ich jetzt einiges zu grübeln...
- Round Table #5: Kreuzweg (Zu Fragen des Menschseins)