Episode X: Die Exponate#
Gemäß Europas Mythologie hat Perdix, der Neffe von Daedalus, die Säge und den Zirkel erfunden. Daedalus, der Vater des Ikarus, kommt in diesen Mythen als geschickter Handwerker vor. Wäre noch Hephaistos zu erwähnen, der bedeutende Schmied. Ein Erfinder von Waffen und Gebrauchsgegenständen.
Ein Gestalter von Schmuck, sogar Architekt; kurz: ein Techniker, denn das altgriechische Wort Téchne faßt Handwerk, Kunst und Wissenschaft zusammen. Diesen Persönlichkeiten war Prometheus vorangegangen, der Feuerbringer, ein kluger Kerl, dem die Götter seine Kühnheit mit harten Strafen zurückgestutzt haben.
Das Sägen und das Feilen sind zerspanende Techniken. Das Wort ist unter Laien nicht besonders geläufig: Zerspantechnik. Das ist übrigens ein eigener Beruf: Zerspantechniker. (Früher sprach man von Drehern und Fräsern.)
Auf dem ersten Foto sehen Sie einen Stahlbarren und zwei Würfel-Rohlinge, die ich davon heruntergeschnitten hab. Das grobe Stück in der Mitte belegt einen passablen Irrlauf beim Sägen, was im Anschluß viel Arbeit macht. Der rechte Würfel zeigt den Beginn der Mühen, denn da ist erst eine Fläche etwas geglättet. Sie weist noch reichlich Differenzen im Bereich von Zehntel und Hundertstel der Millimeter auf.
Diese zwei Fotos zeigen einen Würfel, den Meister Lukas im Alter von etwa 17 Jahren gefeilt hat. Das Werkstück wurde schließlich noch quer durchbohrt und paßt so auf den Dorn. Nach meinen ersten eigenen Versuchen halte ich das für eine beunruhigend genaue Arbeit. Die Glätte der Flächen, die Schärfe der Kanten, die genauen Winkel…
Der Barren erhält mit dem Winkel seine Markierung, für mich Anfänger vorzugsweise auf drei Seiten. Dann kommt er in den Schraubstock und das Sägen beginnt. Wer je Brennholz geschnitten hat, schätzt hinreißend falsch ein, wie dicht, schwer und widerstandsfähig Stahl ist, wie langsam die Säge vorankommt.
Über die vergehenden Stunden dämmert einem, daß die Farbkontraste der Schnittfläche einem etwas verraten. Sie weisen auf Unebenheiten hin, die verschwinden müssen. Geht das Sägeblatt schon schwer, dient Hirschtalg als Schmiermittel. (Ich hab vorerst noch keine Vorstellung, ab wann das Sägeblatt erneuert werden muß.)
Neben dem Rohling mit der brutal unebenen Schnittfläche sehen Sie einen Würfel aus dem 3D-Drucker. Er ist quasi die digitalisierte Version des eingangs gezeigten Werkstückes von Lukas. Der Drucker baut sowas Schicht für Schicht auf. (Es ist längst möglich, auch Metallgegenstände zu drucken oder harte mit weichen Komponenten zu kombinieren.)
Zwei markante Positionen grundverschiedener Fertigungsmethoden. Hier eine größere Ansicht des gedruckten Würfels. Daneben ein Erinnerungsstück, das mir mein Sohn Gabriel überlassen hat. Diesen Stahlwürfel hat er in seiner Ausbildung zum Betriebselektriker gefeilt.
Während der Drucker ein Objekt aufbaut, arbeitet es die Fräse aus einem Materialblock heraus. Lukas hat sich eine CNC-Fräse gebaut. Das Kürzel bedeutet Computerized Numerical Control. Das heißt, es werden Know how und Parameter an Software übergeben, um die Fräse zu steuern. Hier ein Werkstück mit abgeschrägten Rändern (Fasen). Man sieht noch Reste der Stege, die nach dem Fräsen entfernt werden. So bleibt das Objekt während des Arbeitsvorganges in einer stabileren Position.
Schließlich noch ein alter Zirkel, weil wir über das Motiv „Form follows function“ gesprochen haben. Was zu einem Designprinzip wurde, stammt aus dem 19. Jahrhundert und wird dem Bildhauer Horatio Greenough zugeschrieben: Die Form folgt der Funktion. Aber dann kommen mitunter noch dekorative Aspekte ins Spiel, die keine physikalische Funktion haben, sondern Wahrnehmungserfahrungen bieten. (Mit der Digitalen Revolution entstand allerdings eine Flut abstrakter Maschinen, deren Formen uns ihre Funktionen nicht mehr verraten.)
Die mechanische Schiebelehre erspart mir zum Glück jene Hundertstel an Millimetern, mit denen mir die elektronische Version jedes kleine Erfolgsgefühl beim Feilen demontiert. Da tut sich übrigens ein eigenes, sehr spannendes Thema auf: Meßwerkzeuge. Sie kennen vielleicht die Redensart: „Was nicht paßt, wird passend gemacht“. Das bezieht sich in der Regel freilich auf menschliche Verhaltensweisen. Wo sich Paßgenauigkeit in der Physik beweisen muß, betreten wir einen anderen Kontinent.
Die Metallsäge und einige Fotos… das muß ja nicht weiter erläutert werden. Außerdem hat Grafiker Heinz Payer auf meine bisherigen Berichte reagiert und mich in die Pose eine Schmieds gepackt. Ein Traumbild, versteht sich, denn in diese Liga werde ich nicht aufsteigen. Aber in das Thema so weit hineinzugehen halte ich für lohnend.
- Alle Fotos: Martin Krusche
- Zurück zur Startseite der Episode
- Zeit.Raum: Slot II
- Prisma: Eine Quest (Laufende Erzählung)