Automotive 7: An der Basis#
(Lehrer und Schüler)#
von Martin KruscheWo wüßte man besser, daß die Vierte Industrielle Revolution längst angebrochen ist, als in einer Höheren Technischen Lehranstalt? Derlei Einrichtungen sind ja vor allem zu diesem Zweck da, über solche Dinge Klarheit zu finden. Naja, nicht ganz. Es geht um eine Ausbildungsstätte. Dort soll also jungen Menschen zweierlei angeboten werden: Ein Weg in berufliche Kompetenz und damit in der Folge ein Weg in die Wirtschaft. Das meint also nicht bloß Broterwerb, das meint auch sinnvolles und erfüllendes Tun. (Ist das zu viel verlangt?)
Aus dem alten Handwerk wurde diese spezielle Intention überliefert: Eine Sache um ihrer selbst willen gut machen. In solchen Aspekten liegt, was den Fachkräften aus Österreich in der nahen Vergangenheit einen vorzüglichen Ruf eingebracht hat. Sie gelten als Leute mit Talent, die ihren Job gern machen und dank fundierter Ausbildung auch gut machen.
Das sind Zusammenhänge, welche gewöhnlich zu guter Bezahlung führen.
Und eben dieses Wechselspiel zwischen Kompetenzen, Selbstbewußtsein und Marktfähigkeit hat aus dem einstigen Armenhaus der Monarchie, dieser Oststeiermark, eine blühende Region gemacht.
Genau! Die Rede ist von der HTL Weiz, die auf einem Terrain steht, in dessen Nähe vor einigen Jahrhunderten ein vom Wasser angetriebener Hammer den Beginn teilweiser Industrialisierung markierte.
Der heutige Wohlstand des Bezirks konnte nicht aus der typisch klein strukturierten Landwirtschaft kommen. Da bedurfte es schon des Handwerks und der Industrie, wo schließlich Kaufleute und Dienstleister andocken konnten, weil Bedarf und Kaufkraft in die Region gekommen waren. Das ist nun vielleicht eine etwas lange Einleitung für eine kleine Geschichte, die davon handelt, daß einige Teenager sich in der HTL Weiz Ausschneidebögen vornahmen und in die Bastelstunde gingen, um daraus Modellautos zu fertigen. Ein Sortiment der wichtigsten Nachkriegsfahrzeuge aus Grazer Produktion. Heute sagen wir: Puchwerk. Das war seinerzeit die historische Steyr-Daimler-Puch AG, ein gewaltiger Mischkonzern, dessen Grazer Werk in Magna Steyr aufgegangen ist.
Eine Juxpartie? Keineswegs! Spaß an der Sache? Na hoffentlich. Der „Partieführer“ ist ein versierter Mann. Lehrer Karl Haar hatte sich nicht nur den Maschinenwissenschaften gewidmet, was ihm den Titel Dipl. Ing. einbrachte, er ging auch tief in die handwerkliche Praxis. Damit zählt er zum hochkarätigen Teil der regionalen Schrauber- und Sammlerszene, ist als Handwerker gelegentlich bis weit über die Ellbogen im Gefüge klassischer Automobile, um etwa aus einer Leiche wieder ein fahrbereites Prachtstück zu machen.
So kommt es, daß er entspannt sagt: „Was ich lehre, das kann ich auch.“ Gut, Papierautos sind da noch nichts aus dem Zentrum der gewünschten Kompetenzen. Aber ich wette, Haar sah sich dabei erst einmal an, wie sich die Teenies anstellen, wenn's ans Handgreifliche geht. Selbst ein simples Ausschneideauto verlangt, daß man Zusammenhänge denken und daraus eine räumliche Vorstellung entwickeln kann, welche sich auf die Hände übertragen läßt. Das Spielen hat schon, was man dann für die Arbeit braucht.
Nun habe ich nicht nach Details gefragt, aber ich wette, Haar beachtet in solchen Arbeitssituationen auch, ob die Teenies eher Grant-Scherben oder Frohnaturen sind. Eines weiß ich aus unzähligen Begegnungen mit alten Meistern. Manche sind wirklich massive Grantler, unter denen dann nur die glänzenden Kräfte breiteren Zuspruch finden. Viele sind aber hervorragende Handwerker und äußerst fröhliche Menschen. (Das Geheimnis: Es gibt keinen feinen Witz ohne feine Intelligenz.) Ach, und noch eine Quelle der Fröhlichkeit fällt mir ein. Wenn einem knifflige Aufgaben gelingen, wenn man einen guten Job gemacht hat, welcher in der Umgebung Anerkennung findet, dann ist das äußerst aufhellend.
Mit der eingangs erwähnten Vierten Industrielle Revolution erleben wir nun eine atemberaubende Automatisierungswelle, die in ihren radikalen Auswirkungen weit überflügelt, was die Zweite Industrielle Revolution etwa zwischen 1910 und 1913 bewirkt hat.
Wir gehen gesamtgesellschaftlich auf ein Ende der vertrauten Massenbeschäftigung zu. Wir müssen unsere menschliche Koexistenz mit Maschinen und Maschinensystemen völlig neu klären. Selbstverständlich werden dabei viele uns bekannte Jobs, zum Beispiel in der Industrie, nicht mehr gebraucht werden.
Aber eines ändert sich dadurch nicht: Die sinnstiftende und erheiternde Kraft des traditionellen Handwerks. Die vielfältige Belohnung der Mühen, wenn man sich Handfertigkeit erarbeitet und dabei einen wachen Geist entfaltet, mit dem sich Probleme lösen und Freuden solider Erfolge erleben lassen. Es könnte also sein, daß viele Zweige des herkömmlichen Handwerks zwar in den Fabriken nicht mehr gebraucht werden, doch für uns Menschen unverzichtbar bleiben, weil sie jenes sinnvolle und befriedigende Tun ermöglichen, mit dem viele von uns ihre Tage verbringen möchten.
Was immer einst in den Maschinensälen an wahllos aufgegriffenem Personal benötigt wurde, das Handwerk war immer schon eine eigentümliche Lebensschule, in der man selbstständiges Denken und Handeln üben mußte, um einen guten Job machen zu können. Das unterscheidet die kommenden Meister von den Zureichern, man könnte auch etwas frech sagen: selbstverantwortliche Menschen von Lakaien.
Ich hinterlasse Ihnen hier noch einen kleinen Hinweis, wie solche Dinge zusammenhängen, wo wir beispielsweise über prinzipielle soziale Kompetenzen zu reden hätten. Wir wissen ein paar Dinge von den ersten Baumeistern aus einer Zeit, da die Menschen noch in Höhlen gelebt haben. Diese Handwerker nutzten ihre Kompetenzen nicht, um Wohnhäuser zu bauen, sondern Kultstätten.
Ihr praktisches Geschick und ihr Talent zu schönen wie haltbaren Lösungen war also keinen Fragen der Alltagsbewältigung oder ökonomischen Aufgaben gewidmet, sondern unserem Bedürfnis nach Kultur und Spiritualität. Das sollte uns zu denken geben, wenn wir nach der Zukunft unserer Kinder fragen.
Und noch ein Denkanstoß. Seit der griechischen Antike gilt die Muße als ein zentrales Kulturgut, als wichtige Grunderfahrung des Menschen. Absichtsloses Schauen, von praktischer Tätigkeit freigestellt, sich Zeit nehmen, um die Welt auf sich wirken zu lassen und daraus Erkenntnisse zu ziehen... Kein "sündiger" Müßiggang, sondern ein Zugang zu sich, den Mitmenschen, der Welt.
Die Römer hatten für Muße das Wort Otium, ihr Gegenteil, die Arbeit, hieß Negotium, also Nicht-Muße. Und wie sagten die Griechen zur Muße? Das Wort lautet Schule. (Damit hatten sie ganz bestimmt keine Kadettenanstalten gemeint.)
- Die Ausschneidebögen stammen aus dem "Puch-Buch"
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