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Der Jodelmensch#

(Über das Industrieprodukt Andreas Gabalier)#

von Martin Krusche

Wenn Andreas Gabalier ein Künstler ist, dann ist der eben verstorbene Bruno Ganz keiner gewesen. Wenn wir über die Arbeit von Gabalier in Kategorien der Kunst sprechen, dann brauchen wir für die Arbeit von Ganz andere Begriffe. Das wäre prinzipiell möglich, da Worte auf Übereinkünften beruhen. Wir machen uns aus, was sie bezeichnen. Übereinkünfte können geändert werden.

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Aber wir könnten auch dabei bleiben, die Arbeit von Gabalier als gut geöltes Industrieprodukt zu betrachten, dann bräuchten wir für Bruno Ganz keine Begriffsarbeit anzuzetteln. Daß sich die Stadt Graz aufgerafft hat, dieses Produkt der Unterhaltungsindustrie, den lautstark steirernden Kerl, mit einer Medaille zu ehren, bedeutet zweierlei.

Erstens ehrt sich das zuständige Gremium selbst, indem es - zweitens - sich einer erfolgreichen Marke an die Fersen heftet, wie das jüngst auch eine unbedeutende regionale Faschingsgilde getan hat. Das ist so originell wie zum Beispiel die Wahl eines „Auto des Jahres“ und könnte als pragmatische Geschäftspraxis abgetan werden. (Wen schert es?)

Wer über den Circus Maximus nachdenkt und sich dabei bemüßigt fühlt, die Löwen wie die Gladiatoren mit Abschätzigkeit zu bedenken, hat vielleicht nicht verstanden, worum es in diesem Business geht, das aktuell genuiner Bestandteil der Popkultur ist. Es bleibt allemal festzustellen, daß Gabalier in seinem Genre sehr gute Arbeit macht.

Daß er dabei immer noch auf Knien fleht, als Künstler erkannt zu werden, deshalb notfalls sogar vor Gericht geht, illustriert, wie sehr er als „Volks-Rock & Roller“ ein Produkt der Unterhaltungsindustrie ist, das offenbar inzwischen selbst die Legenden aus seiner Marketingabteilung glaubt, sein Tun intellektuell nicht fassen und einordnen kann. Aber es belegt auch, daß ihn der kommerzielle Erfolg noch nicht restlos zu einem Zyniker gemacht hat, dem solche Fragen völlig egal wären. Doch das ist der unerhebliche Teil der Geschichte.

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Gabalier scheint in seiner Weltsicht auf ein eher simples, gut überschaubares Modell menschlichen Daseins angewiesen zu sein. Das muß man dürfen. Ohne seinen geschäftlichen Status würde das niemanden interessieren. Aber als Teil seiner Vermarktung macht es ihn zusätzlich massentauglich, ist also eine nützliche Zutat. Wer sich darüber demonstrativ abschätzig äußert, zeigt bloß einen Mangel an intellektueller Selbstachtung in der drolligen Pose, dem Pöbel übers Maul fahren zu wollen. Der Jodelmensch Gabalier bietet viel interessantere Themen.

Die simple Weltsicht in allen uns bekannten Varianten hat nachvollziehbare Funktionen und wo sie sich als Geschäftsmodell eignet, wird sie stets zum Zug kommen. Das scheint sich seit der Antike nicht geändert zu haben. Nutznießer solcher Verhältnisse, wie etwa Medaillen-Spender, wird man diskursiv und kulturpolitisch stellen müssen. Dieser anstrengenden Arbeit kann man sich nicht einfach entziehen, indem man das Produkt schlechtredet. Das bliebe Karaoke.

Selbstverständlich belastet es ein soziokulturelles Klima, wenn ein junger Mann mit solcher Öffentlichkeitswirksamkeit seine simple Weltsicht via Massenmedien promotet. Daran ist nur wenig tröstlich, daß die Ansichten von Gabalier ihn sicher nicht lange überdauern, daß sie bloß kolportiert werden, solange er selbst den Mund aufmacht. Ich halte es für unwahrscheinlich, daß Gabalier-Zitate als förderliche Beiträge zum Verständnis der Zeit in den Archiven unserer Kultur erhalten bleiben.

Ich wäre heute schon erleichtert, würde nicht ein erregtes bildungsbürgerliches Völkchen via Social Media tagelang seine demonstrative Gabalier-Aversion verbreiten, was ja ebenso ermüdend und populistische ist, wie Gabaliers Sprücheklopferei. Vor allem führt es dazu, daß ich den pomadisierten Kopf des Rock & Roll-Surrogats tagelang unter die Nase gehalten bekomme. Sehr unerfreulich!

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Statt dessen gefiele es mir, wenn solche Vorfälle der Anlaß wären, das politische, vor allem kulturpolitische Personal in die Pflicht zu nehmen, um zu klären, welche Mittel materieller und immaterieller Art in ein anspruchsvolleres geistiges Leben fließen mögen und was wir mit den kursierenden Begriffen eigentlich meinen. Nicht in der Intention, einen Andreas Gabalier abzuschaffen, sondern um ihm etwas von Relevanz gegenüberzustellen.

Es würde mir gefallen, könnten wir auf der Höhe der Zeit und aktuell klären, was wir meinen, wenn die Worte Volkskultur, Popkultur und Kunst fallen.

Die unterhaltungsindustrielle Legendenbildung läßt Gabalier auftanzen, als wäre sein Geschäftserfolg ganz wesentlich individuelle Leistung. Das unterschlägt: so ein Erfolg ist nur erreichbar, wenn ein Konzern erst einmal viel Geld investiert, ein großes Team hart arbeitet und alle auf einen Return of Investment hoffen, was ja nie garantiert ist.

Dabei macht Gabalier „Die Steiermark“ zu einem Imagefaktor, den man nach Belieben verzerrt. Da geht es unter anderem um das Vermarkten von Nationalkitsch. Was sollte das wohl sein, „Mein Herzerl aus der Steiermark“? Und was könnte das denn sein, „ein bisserl dieses steirische Lebensgefühl“? Geschwätzigkeit! Das ist, wie erwähnt, Nationalkitsch, der seine Wurzeln im Nationalismus hat.

Bliebe noch zu fragen, was genau das Authentische sein könnte, das Gabalier mit seiner Musik angeblich ausdrückt. Eine rhetorische Frage, die uns zum Konzept des Circus Maximus zurückführt. Es ist ein gängiges Massenprodukt, für das mehrere Musik-Genres bedenkenlos geplündert wurden, um Elemente daraus nach Nützlichkeit zu rekombinieren. Man darf Gabalier, gemessen an diesen Zusammenhängen, ohne weiteres zurufen: Good Job!

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Da stören dann auch seine bescheidenen Ansichten über Männer, Frauen und die Welt nicht weiter. Wer dafür sein Geld ausgibt und sich dabei gut fühlt, wird auf belehrende Zurufe keinerlei Wert legen. Zu Recht. Der Circus Maximus ist kein Volksbildungsinstitut, sondern eine Geldmaschine, mit der das Leben der Menschen bewirtschaftet wird.

In diesen Sätzen beziehe ich mich unter anderem auf folgendes Zitat anläßlich der Grazer Medaille: „Die Freude meinerseits, die ist enorm. Mein Herzerl aus der Steiermark, das strahlt da heraußen in Berlin. Man hat es mit harter und fleißiger Arbeit und Einsatz und unermüdlichem Willen ganz nach oben geschafft. Man singt heute in den größten Stadien, die der deutschsprachige Raum zu bieten hat - und man hat da eigentlich immer ein bisserl dieses steirische Lebensgefühl hinausgetragen.“ (Quelle: ORF)

Selbstverständlich läßt sich dies leicht als Heuchelei aufdecken. Aber Heuchelei ist nicht strafbar. Ich wiederhole mein vorhin geäußertes Anliegen: Statt dessen gefiele es mir, wenn solche Vorfälle der Anlaß wären, das politische, vor allem kulturpolitische Personal in die Pflicht zu nehmen, um zu klären, welche Mittel materieller und immaterieller Art in ein anspruchsvolleres geistiges Leben fließen mögen und was wir mit den kursierenden Begriffen eigentlich meinen.

Alle Fotos: Martin Krusche. Dieser Kommentar ist Teil der Textsammlung Volkskultur (Beiträge zu einer notwendigen Debatte.