Karl Ritter von Ghega#
eigentl. Carlo Ghega
* 10. 1. 1802, Venedig
† 14. 3. 1860, Wien
Ingenieur
Konstrukteur der Semmering-Bahntrasse zwischen Gloggnitz und Mürzzuschlag
Carlo Ghega wurde am 10. Jänner 1802 als Sohn von Eltern albanischer Herkunft in Venedig geboren und sollte wie sein Vater Marineoffizier werden – allerdings zeigte sich früh, dass seine mathematische Begabung größer war als seine Liebe zum Meer.
Nach dem Besuch des k. k. Militärkollegiums ging er mit 15 Jahren zum Studium an die Universität Padua, wo er bereits nach einem Jahr sein Diplom als Ingenieur und Architekt erhielt und kurze Zeit später – im Alter von 17 Jahren – als Doktor der Mathematik abschloss.
Seine Laufbahn als Ingenieur begann er mit diversen Straßen- und Wasserbauten in Venetien, unter anderem trug er zum Bau der "Strada d’Alemagna", der Straße von Treviso nach Cortina d’Ampezzo, bei.
Bereits 1833 veröffentlichte Ghega sein erstes Fachbuch. Von 1836 bis 1840 war er Bauleiter für die Teilstrecke Lundenburg bis Brünn der Kaiser-Ferdinand-Nordbahn; in dieser Zeit studierte er auch das Eisenbahnwesen von England und anderen Staaten in Europa.
1842 wurde Ghega zum Gesamtplanungsleiter der südlichen Staatseisenbahn ernannt, weshalb er eine Studienreise nach Amerika unternahm. Seine Erkenntnisse daraus flossen nicht nur in die Planung und den Bau der Semmeringbahn, sondern auch in zwei Publikationen. (Ghega veröffentlichte übrigens die meisten seiner Schriften parallel zur deutschen auch in entsprechenden italienischen bzw. französischen Ausgaben.)
Nach seiner Rückkehr zu den Staatseisenbahnen wurde er mit der Planung für die Errichtung der Bahnlinie Richtung Süden, von Gloggnitz über Mürzzuschlag und von Graz bis nach Triest, beauftragt. Die Bahnüberquerung des Semmerings wurde von vielen seiner Zeitgenossen als technisch aufwändig bzw. als unmöglich angesehen.
Aber bereits 1844 legte er einen Streckenplan unter Anwendung eines reinen Adhäsionsbetriebs vor, gleichzeitig förderte er die Konstruktion entsprechender Lokomotiven.
Der schwierige Bau konnte trotz heftiger Gegnerschaft vorangetrieben und 1854 eröffnet werden. Österreich wurde damit zum Pionier beim Bau von Gebirgsbahnen mit durchgehenden, langen Steilrampen.
1850 - noch vor der Fertigstellung - wurde Ghega Vorstand der Generalbaudirektion für die Staatseisenbahnen und wurde in den Ritterstand erhoben. 1855 bis 1857 baute Karl Ritter von Ghega das letzte Teilstück der Südbahn Laibach-Triest.
Karl Ritter von Ghega verstarb am 14. März 1860 in Wien an Lungenschwindsucht.
Er wurde am Währinger allgemeinen Friedhof bestattet (sein Grabstein ist im Grabmalhain des Währinger Parks erhalten) und erhielt später ein Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof (Gr. 32A/24).
Im Vestibül des Technischen Museums ist seine Büste zu sehen, an seinem Wohnhaus, Lugeck 7 im 1. Bezirk ist eine Gedenktafel angebracht, und im 3. Bezirk ist ihm eine Straße gewidmet.
Artikel aus dem Buch "Große Österreicher"
Die Bahn über den Semmering hatte Doktor Karl Ritter von Ghega berühmt gemacht, aber er wäre auch ohne sie einer der bedeutendsten Techniker seines Jahrhunderts gewesen. Geboren am 10. Januar 1802 in Venedig, sollte er wie sein Vater Marineoffizier werden, aber bald zeigte sich, daß seine mathematische Begabung noch größer war als die Liebe zum Meer. Vom k. k. Militärkollegium ging er als Fünfzehnjähriger zum Studium an die Universität Padua, erwarb ein Jahr später sein Diplom als Ingenieur und Architekt, wurde als Siebzehnjähriger „cum laude“ zum Doktor der Mathematik promoviert.
Seine Karriere begann er als Straßenbauer im Raum Cortina-Toblach, verdiente sich bei der Po-Regulierung erste Sporen, errichtete auch Amtsgebäude, sogar Gefängnisse, erfand eine neuartige Nivellierlatte und einen "Nonius" zum Ausstecken von Kurven, publizierte 1833 sein erstes Fachbuch.
Der Berufsweg schien vorgezeichnet, und der "Abteilungsingenieur 1. Klasse" war’s zufrieden. Doch inzwischen war das Bankhaus S. M. Rothschild, das im März 1843 das Privileg zum Bau der Kaiser-Ferdinands-Nordbahn erworben hatte, auf ihn aufmerksam geworden. Die Durchführung des Projekts lag in den Händen des Venezianers Hermengild Francesconi, der ihn von klein auf kannte und zuerst nach Wien holte, dann auch Studienreisen durch ganz Europa schickte.
In Newcastle besuchte Ghega den „Vater der Lokomotive“, Stephenson, der seine wahre Begeisterung für die Eisenbahn weckte. Und sofort wurde Ghega aktiv. In Belgien sah er erstmals Eisenbahnschwellen, wie sie heute üblich sind, und setzte sich mit Erfolg für ihre Verwendung bei der Nordbahn ein.
Als Chefingenieur leitete er den Bauabschnitt Rabensburg-Brünn und war Vorgesetzter von 14 000 Arbeitern. Auch die Projektierung der Strecken Lundenburg-Olmütz-Prag und Brünn-Prag wurde ihm anvertraut. Mit dem 637 Meter langen „Brünner Viadukt“ schuf er die erste bogenförmige Bahnbrücke Österreichs. In Tirol baute er Hochgebirgsstraßen wie die im Val Sugana und die über den Finstermünzpass sowie die Kettenbrücke bei Mori über die Etsch.
1842 wurde er zur Mitwirkung an der Planung der „südlichen Staatseisenbahn“ Wien-Triest nach Wien berufen. Die Bahn Wien-Gloggnitz, von Baron Sina gebaut, stand schon in Betrieb. Beschleunigt trieb Ghega vorerst den Bau der Strecke Mürzzuschlag-Graz voran. Bei der Eröffnung führte er selbst die Lokomotive »Graetz« in die steirische Hauptstadt, wurde dafür Kaiserlicher Rat. 1846 war die Strecke bis Cilli vollendet.
Das Schwierigste lag nun vor ihm: die Überwindung des Semmerings. Schon Erzherzog Johann hatte die Idee einer Bahn über den Pass gehabt, doch nach wie vor war ein Großteil der Fachwelt überzeugt, daß es unmöglich war, die Höhe von 895 Metern bei einer Steigung von bis zu 25 Prozent mit Lokomotiven zu überwinden. Ghega war felsenfest davon überzeugt, daß dies bei richtiger Streckenführung realisierbar war, und hatte sich bei Studienreisen, so auch in Amerika, davon überzeugt.
Just im Revolutionsjahr 1848 begann der große öffentliche Meinungsstreit um die Semmeringbahn. Selbst Stephenson hatte wissen lassen, daß die „Adhäsionsbahn“ niemals eine solche Steigung überwinden könne. Negrelli war derselben Meinung und entwickelte das Projekt einer „Spitzkehrenbahn“, bei der zwei Lokomotiven abwechselnd schieben und ziehen sollten „einen genialen Missgriff“ nannte Ghega diese Idee. In aller Ruhe projektierte er die Trasse Gloggnitz Payerbach-Eichberg, nachdem er auch die Variante Neunkirchen-Kranichberg-Wartenberg ausgearbeitet, aber wieder verworfen hatte.
Mit einem solchen Sturm der Gehässigkeit, wie er nun ausbrach, hatte der nunmehrige „Inspektor der Staatseisenbahnen“ nicht gerechnet. Da wurde ganz offen davon geredet, er sei ein Scharlatan, der Staatsvermögen vergeude, sein Plan sei „die hirnverbrannte Phantasie eines Halbnarren“, ein Untersuchungsausschuss gegen ihn wurde beantragt. Doch der junge Kaiser Franz Joseph vertraute dem kühnen Planer, machte ihn zum Chef der Zentraldirektion der Eisenbahnbauten, erhob ihn 1851 dann in den Adelsstand.
Entscheidend war der kaiserliche Auftrag vom Frühjahr 1849: "Der Bahnbau über den Semmering ist fortzusetzen." Im selben Jahr wurde die Scheitelstrecke in Angriff genommen, 1400 Meter lang war der Haupttunnel. Es war, wie Zeitgenossen schrieben, "ein mörderischer Bau". Alle Umsicht konnte Felsstürze nicht verhindern, allein der in der Weinzettelgalerie forderte 13 Todesopfer. Im Haupttunnel machten die aus ungezählten Quellen stürzenden Wasser die Einhaltung der Pläne fast unmöglich, und die Fachleute zitterten, ob die Arbeiten unter dem enormen Gesteinsdruck tatsächlich durchführbar sein würden. Sie waren es. Menschlich litt Ghega auch darunter, daß es nicht gelang, der Cholera Herr zu werden, die unter den Bauarbeitern grassierte allein auf dem "Pestfriedhof" von Klamm liegen an die 700 Seuchentote begraben.
1850 erfolgte die Ausschreibung für den Lokomotivenankauf. Noch bevor die vier gemeldeten Modelle geprüft wurden, ließ es sich Ghega im August 1851 nicht nehmen, mit einer von den Staatsbahnen ausgeborgten Lokomotive auf eigene Faust selbst loszufahren. Sie überwand die Steigung, ohne daß der vorgesehene Sandstreuer in Aktion treten musste. Nie mehr haben seine Mitarbeiter Ghega so glücklich gesehen: "Gott sei Dank! Es ist gelungen", sagte er immer wieder.
Am 12. Oktober 1853 wurde bei der Kalten Rinne die letzte Gleislücke geschlossen. Am 23. Oktober erfolgte die erste Probefahrt über die gesamte 41 Kilometer lange Strecke. „Es gibt keine Alpen mehr als behindernde Schranke“, schrieb die „Wiener Zeitung“ enthusiastisch. Am 12. April 1854 konnte Ghega den Kaiser über den Semmering führen und ihm die Strecke mit ihren 16 Viadukten und I5 Tunnels (insgesamt 4,5 Kilometer) erklären. Einen Monat später drei Wochen nach ihrer Hochzeit kam auch Kaiserin Elisabeth. Am 17. Juli 1854 verkehrte der erste fahrplanmäßige Personenzug, am 15. August der erste beschleunigte Zug.
Am 27. Juli 1857 konnte die Gesamtstrecke Wien-Triest eröffnet werden. Die Überquerung des Laibacher Moors habe ihn vor größere Probleme gestellt als der Semmering, soll Ghega einmal gesagt haben. Der Talübergang bei Franzensdorf übertraf die Dimensionen des Semmerings. Doch war der Bau nicht so spektakulär.
Ghega wurde überschüttet mit Ehren. Aber seine Glanzzeit war vorbei. Der Staat hatte nach und nach alle Bahnen abgestoßen, für Ghegas zentrale Baudirektion gab es praktisch keine Kompetenz und keine Arbeit mehr. Man fand mehr oder minder pro forma einen Ministerialratsposten für ihn, sandte ihn als Vertreter Österreichs zu den Beratungen über den Apennintunnel. ließ ihn Pläne für das Siebenbürger Eisenbahnnetz machen.
Am 14. März 1860 starb Ghega in seinem Wiener Heim am Lugeck. Er war nie verheiratet gewesen, seine Arbeit war zeitlebens seine einzige Liebe neben dem Vaterland, zu dem er, der Venezianer, sich jederzeit mit schlichter Selbstverständlichkeit bekannte: "Ich hin ein italienischer Österreicher."
Der biografische Text wurde dem Buch "Große Österreicher" (1985) von Thomas Chorherr entnommen und dem Austria Forum freundlicherweise seitens Ueberreuter Verlag zur Verfügung gestellt. (www.ueberreuter.at)
Weiterführendes#
- Sonderpostmarke 1952, 150. Geburtstag von Ing. Dr. Karl Ritter von Ghega (Briefmarken)
- Sonderpostmarke 2012, 210. Geburtstag Karl Ritter von Ghega (Briefmarken)
- Historische Bilder zu Karl Ritter von Ghega (IMAGNO)
Werke (Auswahl)#
- Die Baltimore-Ohio Eisenbahn über das Alleghany-Gebirg mit besonderer Berücksichtigung der Steigungs- und Krümmungsverhältnisse. – Wien, Kaulfuß Prandel 1844
- Dell' Ottanto a diottra: Stromento geodetico per tracciare in pianta l’andamento delle curve circolari. – Venedig, Merlo 1833
- Malerischer Atlas der Eisenbahn über den Semmering. Wien, Gerold 1854
- Über nordamerikanischen Brückenbau und Berechnung des Tragvermögens der Howeschen Brücken. Wien, Kaulfuss Prandel 1845
- Uebersicht der Hauptfortschritte des Eisenbahnwesens in dem Jahrzehende 1840–1850, und die Ergebnisse der Probefahrten auf einer Strecke der Staatsbahn ueber den Semmering in Oesterreich. Wien, Sollinger 1853
Literatur#
- Alfred Niel: Carl Ritter von Ghega: ein Leben für die Eisenbahnen in Österreich. Wien, Pospischil 1977
- Die Eroberung der Landschaft, Ausstellungskatalog, Gloggnitz 1992
- Neue Österreichische Biographie
- Österreichisches Biographisches Lexikon
- Günter Dinhobl: Die Semmeringbahn - der Bau der ersten Hochgebirgseisenbahn der Welt. Wien, Oldenbourg 2003
- Herbert Grasinger: Auf den Spuren von Ghega entlang der historischen Semmeringbahn: Wanderführer. Ternitz, Höller 1998
- Aldo Rampati: Carlo Ghega: il cavaliere dei alpi. Triest, Italo-Svevo-Publ. 2002
- Wolfgang Pap: UNESCO Weltkulturerbe Semmeringbahn: zum Jubiläum 150 Jahre Semmeringbahn 1854-2004. Semmering, Tourismusregion NÖ Süd 2003
- Wolfgang Straub: Carl Ritter von Ghega. Der geniale Pionier des Eisenbahnzeitalters; Graz, Styria 2004
Quellen#
- AEIOU
- Große Österreicher, Th. Chorherr, Verlag Carl Ueberreuter, 1985
- Semmeringbahn
- Ghega Museum
- Landesmuseum NÖ
- Vienna Tourist Guide
Redaktion: J. Sallachner, I. Schinnerl
Es war kein Zufall, dass 1848 die Diskussion um die Südbahn aufflammte, denn in Venedig musste die Revolution niedergeworfen werden, was der tiefere Grund dafür war, dass FJ diesem Mammutprojekt zustimmte, Negrelli baute dann die Bahnlinien um Venedig, die 1849 zum Sieg über die venetianischen Rebellen führte, lehnte aber das ihm dafür angetragene Adelsprädikat "Von Custozza" wegen der Massaker der Habsburger-Armee in Venedig ab und nannte sich "Von Moldelbe".
Damit ist er ein klassisches Paradigma für einen Techniker, der sich seiner entscheidenden Verantwortung bewusst ist. Dass das Technische Museum derartige Dinge nicht würdigt, zeigt schon ein tiefes biographisches Unverständnis. Es sollten dort im interpretativen und hermeneutischen Bereich auch Historiker konsultiert werden, wofür man ja keine neuen Planstellen benötigen würde. Die Ethik von Technikern hat etwa Dürrenmatt in seinem Stück "Die Physiker" hervorragend thematisiert. wird leider kaum mehr gespielt...
-- Glaubauf Karl, Sonntag, 8. April 2012, 11:07